Digitalpolitik im Berliner Koalitionsvertrag: Wenig Zeit für Veränderung

    Sollten die jeweiligen Parteigremien Ende April zustimmen, bleibt einer neuen Regierungskoalition aus CDU und SPD nur wenig Zeit, um in der restlichen Legislaturperiode digitalpolitische Vorhaben umzusetzen. Welche Projekte priorisiert werden sollen, bleibt im Koalitionsvertrag vage. Viel wird von dem neuen Personal abhängen.

    Aller guten Dinge sind drei? Transparenzgesetz wird wieder angekündigt

    Zum dritten Mal in Folge wurde die Schaffung eines Transparenzgesetzes in einen Berliner Koalitionsvertrag geschrieben. Zum dritten Mal ist aber auch fraglich, ob es die Vorlage zur Verabschiedung schafft. Unter Rot-Rot-Grün wurde der Entwurf Ende 2022 im Digitalausschuss in letzter Sekunde von der Tagesordnung genommen, obwohl schon seit Jahren in der Stadtgesellschaft Einigkeit herrscht, dass ein Transparenzgesetz kommen muss. Im Gegensatz zum letzten Koalitionsvertrag fehlt dieses Mal ein konkreter Zeitpunkt für die Verabschiedung: statt „Ende 2023“ heißt es nun, dass ein Gesetz „schnellstmöglich“ kommen soll.

    Schlüsselposition Chief Digital Officer soll neu besetzt werden

    Wie ihre Vorgängerin sieht die neue Koalition die Position eines Chief Digital Officer als zentralen Dreh- und Angelpunkt für die Steuerung der digitalen Verwaltungsmodernisierung. Anders als beim jetzigen CDO Ralf Kleindiek, der zusätzlich Staatssekretär im Innenressort war, soll die künftige Position alleinig in der Senatskanzlei angesiedelt und ihre Kompetenzen geschärft werden. Um die Neuordnung der Gremien festzuhalten, plant die Koalition auch ein neues Digitalgesetz, welches das bestehende E-Government-Gesetz ablösen soll. Bei diesem Prozess sollte der Senat die breite Expertise der Berliner Zivilgesellschaft miteinbeziehen.

    Der bisherige CDO wird von dieser Neujustierung nicht mehr profitieren, die Stelle soll vom designierten Regierenden Bürgermeister neu besetzt werden. Kleindiek hatte erst wenige Tage vor den Wiederholungswahlen seine Eckpunkte für die Verwaltungsreform vorgestellt, die sich zwar zum Teil im Koalitionsvertrag wiederfinden – eine neue Personalie auf dieser hochkomplexen Stelle wird dennoch wieder einiges an Zeit benötigen, bis mit der eigentlichen Arbeit angefangen werden kann.

    Was passiert mit der jüngst veröffentlichten Digitalstrategie?

    Die im Januar eingeführte Dachstrategie Gemeinsam Digital: Berlin trug ebenfalls die Handschrift Kleindieks. Laut Koalitionsvertrag soll sie weiterentwickelt werden und den Weg zur Smart City ebnen, die die gesamte Stadtgesellschaft einbezieht. Wie eine CDO-Neubesetzung mit den Vorgänger-Strategien umgehen wird, bleibt abzuwarten. Wichtig ist, dass es hier schnellstmöglich zur Umsetzung kommt – das gelingt nur mit ausreichend politischer Rückendeckung sowie adäquater finanzieller und personeller Ausstattung. Die geplante Stärkung der Technologiestiftung und des CityLabs, die sich als digitale Versuchslabore bewährt haben, setzt dafür zumindest ein positives Zeichen.

    Open by default muss digitalpolitische Leitlinie bleiben

    Die Koalition benennt die Erneuerung des Datenmanagements als Voraussetzung für die digitale Transformation und hebt dabei das Credo „Open by default“ für öffentliche Daten hervor. Um diese Forderung mit Leben zu füllen, muss der Blick auf die dafür benötigte technische und personelle Infrastruktur gerichtet werden. Zudem liegt bereits ein breit abgestimmter Entwurf für die Neuauflage der Berliner Open-Data-Strategie vor, der für das Vorhaben als Grundlage dienen könnte.

    Öffnung der Verwaltung für Ideen von außen braucht die gesamte Stadtgesellschaft

    Um die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen zu beschleunigen, möchte die Koalition vermehrt externe Lösungen in Betracht ziehen. Dafür soll ein GovTech Campus Berlin entstehen, wie es ihn bereits in anderen Bundesländern gibt. Außerdem wird die Schaffung eines neuen IT-Dienstleisters als mögliches Joint Venture in Partnerschaft mit eben jener GovTech-Szene geprüft. Es liegt nahe, dass angesichts der kurzen Legislatur und den verkrusteten Verwaltungsstrukturen schnelle Lösungen aus der Start-Up-Welt attraktiv wirken, anstatt in den Aufbau von nachhaltiger Infrastruktur innerhalb der Verwaltung zu investieren. Dabei ist aber unbedingt darauf zu achten, sich nicht in neue langfristige und teure Abhängigkeiten zu begeben. Der Grundsatz muss lauten: Öffentliches Geld - Öffentliches Gut. Das heißt auch, dass bei etwaigen externen Lösungen Nachnutzbarkeit, Offenheit und Wissenstransfer Priorität genießen sollten.

    Abgeschwächtes Bekenntnis zu Open Source und fehlende messbare Ziele

    Beim Thema Open Source weicht der Koalitionsvertrag vom Vorgänger ab: Hieß es 2021 noch, dass Open-Source-Lösungen für eine digital souveräne Stadt unverzichtbar seien und die Ämter bei jeder Beschaffung nach OSS-Alternativen suchen müssen, wird nun Open-Source-Lösungen „ein besonderer Raum eingeräumt“. Bestehende Kooperationen sollen „verstärkt und erweitert werden“. CDO Kleindiek hatte 2022 eine Richtlinie für die Bevorzugung von Open-Source-Lösungen eingeführt, ob diese auch unter einer Neubesetzung Bestand haben wird, wird aus dem Koalitionsvertrag nicht ersichtlich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Koalition eine „Sicherung und Stärkung der Digitalen Souveränität“ anstrebt, ist dies unverzichtbar.

    Ansonsten beruft sich der Koalitionsvertrag vor allem auf die Basics. Dazu gehört das Rollout der E-Akte in ganz Berlin, die Einführung eines Datenschutzcockpits und der Digitalcheck für neu eingebrachte Gesetzentwürfe. Es fehlen jedoch konkrete Zielvereinbarungen, um sicherzustellen, dass diese grundlegenden Vorhaben endlich Anwendung finden. Dazu könnte ein begleitendes Monitoring eingeführt werden, in dem verschiedene Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, digitaler Zivilgesellschaft und Stadtgesellschaft beteiligt werden.

    Ohne Mut zur Reform und Investitionen in Infrastruktur wird es nicht gehen

    Insgesamt zeigt sich der Koalitionsvertrag digitalpolitisch wenig aufschlussreich und unambitioniert, was angesichts der kurzen Zeit, die noch für vorzeigbare Ergebnisse bleibt, nicht verwunderlich ist. Zumindest mit der E-Akte und den Änderungen im Rechtsrahmen können aber die Weichen für einen Aufbruch gestellt werden. In vielen Bereichen ist zudem schon Vorarbeit geleistet worden, die jetzt endlich auch in die Praxis kommen muss – die Verabschiedung des Transparenzgesetzes bleibt alternativlos. Vieles wird von der Neubesetzung des CDO abhängen, beispielsweise ob die aktuell gültigen Open-Source-Regelungen weiter verfolgt werden und die Dachstrategie „Gemeinsam:Digital Berlin“ Früchte trägt. Externe Anbieter:innen spielen in den Überlegungen der Koalitionsparteien eine größere Rolle als zuvor, allerdings richtet sich der Fokus nahezu ausschließlich auf wirtschaftliche Akteur:innen. Dabei darf auch eine neue Regierung nicht vergessen: Investitionen in Infrastruktur und der Mut, Reformen intern voranzubringen, mögen nicht so öffentlichkeitswirksam sein, ohne wird es aber nicht gehen.