Digitaler Aufbruch in Berlin nach der Wiederholungswahl - oder weiter so?

    Im ersten Jahr ihrer Regierungstätigkeit hat die Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus im Digitalbereich vor allem an der Theorie gearbeitet – aber in der Praxis Forderungen der Zivilgesellschaft weiter ignoriert. Eine fortbestehende oder umgebildete Regierung muss in der restlichen Legislaturperiode zum Handeln übergehen.

    Ende Januar wurde mit Gemeinsam Digital: Berlin eine umfassende digitale Vision für die Hauptstadt vorgestellt, die alle Aspekte der digitalen Transformation von Stadt und Verwaltung umfasst. Treibende politische Kraft ist Berlins Chief Digital Officer Ralf Kleindiek, der in Personalunion Staatssekretär im Innensenat und CDO in der Senatskanzlei ist. Die Maßnahmen der neuen Digitalstrategie zeigen viele kluge Ideen für ein einheitliches Vorgehen bei Digitalvorhaben auf: Es wird Raum für Experimente und agile Methoden geschaffen und eine ermöglichende Verwaltung in den Mittelpunkt gestellt. Die Einbeziehung der breiten Stadtgesellschaft in die Bedarfsermittlung ist tatsächlich klar und gut zu erkennen. Umso verwunderlicher ist jedoch, dass das bis dato nicht verwirklichte Transparenzgesetz mit keiner Silbe erwähnt wurde, obwohl es für viele der aufgezeigten Handlungsfelder als Grundlage dienen kann und - ganz im Sinne der Verfasser:innen der Digitalstrategie - aus der Stadtgesellschaft in die Politik getragen wurde.

    Die Antwort auf die Frage, warum sich mit dieser neuen Strategie die festgefahrenen Verwaltungsstrukturen Berlins nun aber wirklich reformieren lassen, blieb jedoch sehr vage.

    Ein Jahr Rot-Grün-Rot

    Basisdemokratische Initiativen aus der Zivilgesellschaft hatten es im ersten Regierungsjahr der Legislatur schwer. Forderungen des erfolgreichen Votums zu Deutsche Wohnen & Co. enteignen wurden von Regierungsmitgliedern mehr oder weniger ignoriert, die Wiederholungswahlen nicht mit dem anstehenden Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral zusammengelegt. Im Dezember 2022 flog eine Anhörung im Digitalausschuss über einen Entwurf für das Berliner Transparenzgesetz kurzfristig von der Tagesordnung, die eigentlich geplante Veröffentlichung des Gesetzentwurfs wurde vertagt. Dabei ist das Transparenzgesetz seit Langem ein zentrales Anliegen vieler progressiver Kräfte der Stadt und für Offenes Regierungshandeln unabdingbar. Wann und wie es mit dem Entwurf weitergeht, ist weiterhin unklar.

    Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, dass der Senat bei Softwarebeschaffung nach Open-Source-Alternativen suchen soll; speziell für die Verwaltung erarbeitete Software müsse zudem der Allgemeinheit unter freien Lizenzen zur Verfügung gestellt werden. Ein begrüßenswerter Schritt hin zu Public Money, Public Code, einer zentralen Forderung an die Politik. Ehrenamtlich Engagierte aus unserem Netzwerk Code for Germany nahmen dies zum Anlass, um sich bei Berliner Behörden nach derzeit schon frei verfügbaren Quellcodes zu erkundigen. Die Ergebnisse von zehn konkreten Anfragen waren ernüchternd: keine einzige Behörde stellte den - nach Verständnis des Senats eigentlich offenen - Quellcode zur Verfügung. Ein gutes Beispiel dafür, wie weit politische Ankündigungen und Verwaltungspraxis aktuell auseinandergehen - und wie wichtig verbindliche Vorschriften durch ein Transparenzgesetz wären.

    Weiter so?

    Im bisherigen Wahlkampf spielten weder digitale Themen im Allgemeinen noch das Transparenzgesetz im Speziellen eine große Rolle. Wenn, dann geht es um den diffusen Komplex der Verwaltungsmodernisierung. Ein parteiübergreifendes Motiv bleibt die Forderung, innerhalb von 14 Tagen einen Termin bei einem der Bürger:innenämter zu bekommen. Dazu soll vor allem die Digitalisierung von wesentlich mehr Verwaltungsleistungen beitragen. Die nach innen gerichtete Verwaltungsmodernisierung lässt sich naturgemäß weniger medienwirksam verkaufen und doch muss jeder neugewählte Senat gerade hier ansetzen.

    Da keine der Parteien in ihren aktualisierten Wahlprogrammen direkt Bezug auf Gemeinsam Digital:Berlin genommen hat, liegt die Frage nah, was bei einer Änderung der Machtkonstellation im Senat mit der wohlformulierten Strategie passieren würde. CDO Kleindiek sitzt aktuell in zwei Häusern, die von derselben Partei geleitet werden. Wie sieht sein Gestaltungsraum aus, sollte dies nicht der mehr der Fall sein? Kleindiek zeigte sich bei der Präsentation optimistisch, dass keine zukünftige Regierung die aufgezeigten Handlungsfelder ignorieren könne. Das erste Jahr der Legislatur lässt allerdings bisher nur wenig Raum für derlei Optimismus. Um so wichtiger, dass nach der Wahl auch für Klarheit durch Handeln im Senat gesorgt wird.

    • Das Transparenzgesetz muss 2023 kommen
    • Die Stichprobe zu Public Money, Public Code hat gezeigt: politische Forderungen der Koalition müssen sich auch in der Verwaltungspraxis niederschlagen
    • Die geplante Neuauflage der Open-Data-Strategie muss verabschiedet und umgesetzt werden
    • Es braucht ein messbares Monitoring für die Umsetzung der Ziele aus der neuen Digitalstrategie bzw. den möglichen neuen digitalpolitischen Zielen der Regierungskoalition. Beim Monitoring muss die Stadtgesellschaft einbezogen werden
    • Die Bereitstellung von Open Data braucht infrastrukturelle Grundlagen: Neben adäquater Hard- und Software ist auch eine Anpassung von Prozessen, Strukturen und Zuständigkeiten unumgänglich
    • Wenn Berlin weiterhin auf eine separate Datenstrategie verzichten möchte, müssen die Maßnahmen zum Datenmanagement in der Digitalstrategie geschärft werden