Der Koalitionsvertrag liegt vor. In der Digitalpolitik soll vieles anders werden. Gut so. Aber bitte auch liefern.
Gestern hat die Ampel ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Für die Digitalpolitik nimmt sie sich viel vor. Sehr erfreulich ist der vorgenommene Perspektivwechsel: Im Zentrum der Vorschläge stehen die Bürger:innen mit ihren Rechten, ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Wunsch nach mehr Partizipation. Darüber hinaus ist es den Verhandelnden gelungen, die Digitalpolitik in ihrer gesamten Bandbreite quer über alle Themen zu verankern: Von der Infrastruktur, den Digitalkompetenzen, den Verbraucher:innenrechten bis zur IT-Sicherheit und der Außenpolitik. Aus der Zivilgesellschaft bekommt die Ampel daher viel Lob zum Start. Ob sie die ambitionierten Pläne wirklich umsetzt, werden wir ab jetzt kritisch begleiten.
Transparenzgesetz kommt endlich, aber verbindliche Standards fehlen
Die Open Knowledge Foundation Deutschland freut sich ausdrücklich über die Einführung eines Transparenzgesetzes des Bundes. Diese Forderung haben wir seit vielen Jahren in die Politik getragen, nun soll sie Wirklichkeit werden. Leider konnte sich die Ampel nicht dazu entschließen, die Unterzeichnung der Tromsö-Konvention aufzunehmen, um einen völkerrechtlich einheitlichen Standard für Transparenz festzuschreiben. In der Umsetzung des Transparenzgesetzes ist daher besonders darauf zu achten, dass die beteiligten Ministerien diese Gesetzesreform nicht dazu nutzen, die bisherigen Regeln des IFG abzuschwächen. Am Ende könnten wir sonst zwar mit einem Transparenzgesetz, aber mit schlechteren Auskunftsrechten dastehen. So ist es beispielsweise im Land Berlin geschehen.
Klares Bekenntnis zu Offener Regierungsführung und zu Public Money Public Code
Die Formulierung “hin zu einem ermöglichenden, lernenden und digitalen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet” sehen wir als starke Verpflichtung für die Regierungsarbeit. Wir freuen uns über das Bekenntnis zu den Zielen der Open Government Partnership. Wir plädieren dafür, die Nationalen Aktionspläne ambitionierter zu gestalten und alle Ressorts zum Entwickeln von Maßnahmen zu verpflichten. Eine verstärkte Einbindung der Bundesländer und Städte, wie z.B. durch die OGP Local Initiative, und eine Umsetzung von “Offener Justiz” wäre begrüßenswert. Die Festschreibung von offenen Standards und Open Source bei öffentlichen IT-Projekten ist ein weiterer Grund zu großer Freude und längst überfällig.
Stärkung der Zivilgesellschaft: Wertschätzung ist vorhanden, jetzt muss sie auch mit Partizipation und Finanzierung hinterlegt werden
Die Ampel möchte eine “Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft gespeist wird” und die Zivilgesellschaft besser in digitalpolitische Vorhaben einbeziehen. Dies ist ohne Zweifel ein neuer und wünschenswerter Ansatz der Politikgestaltung; es zeugt von hoher Wertschätzung gegenüber der Zivilgesellschaft und ihrer vielfältigen Expertise. Um diese Versprechen einlösen zu können, braucht es mehr Repräsentanz der Zivilgesellschaft in Gremien, Runden und Entscheidungsfindungsprozessen aller Art, beispielsweise durch Quotierung in Ausschuss-Anhörungen, und das Aufsetzen von neuen ko-kreativen Projekten zwischen den Sektoren.
Wir freuen uns auch sehr über die Erwähnung des digitalen Ehrenamts und der Notwendigkeit, mehr Unterstützung und Sichtbarkeit herzustellen. Viele Ehrenamtliche bringen sich unermüdlich in die Belange ihrer Kommunen ein und entwickeln digitale Lösungen, stellen Infrastruktur zur Verfügung und übernehmen Wartungsarbeiten. Aktuell gibt es für ihre Arbeit weder passende Förderlinien, noch ausreichende Möglichkeiten, gemeinsam an Problemlösungen mit Verwaltungen zu arbeiten. Die geplanten Bürger:innenräte könnten für digital Ehrenamtliche eine Möglichkeit zu mehr Interaktion und Sichtbarkeit sein.
Förderung von Open Source Basistechnologien
Mit zunehmender Wichtigkeit von Open Source in allen Bereichen (zukünftig auch im Bund) müssen die Infrastrukturen hinter der jeweiligen Software, also die offenen Basistechnologien, vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Aktuell wird vielfältig verbaute Basistechnologie sehr häufig ausschließlich von engagierten Einzelpersonen gewartet und aktualisiert. Es braucht deutlich mehr Struktur und Stabilität.
Mit dem von der Open Knowledge Foundation Deutschland vorgeschlagenen Sovereign Tech Fund kann eine solche Struktur in Deutschland aufgebaut werden. Die Ampel verpflichtet sich zu Open Source, sie möchte die digitale Zivilgesellschaft im Bereich der Community-basierten Civic Tech Arbeit stärken und definiert als Zukunftsfeld der missionsorientierten Forschung den Bereich der technologischen Souveränität. Damit sind die Grundlagen für die Einrichtung eines solchen Funds aus unserer Sicht gelegt.
Daten: Der Rechtsanspruch auf Open Data wird Wirklichkeit
Mit großer Freude blicken wir auf den geplanten Rechtsanspruch auf Open Data. Ohne diesen bleiben Transparenzbestrebungen der Koalition vage. Die neue Bundesregierung sollte ihre Ziele und Vorschläge für Datenpolitik und Open Data in einer neuen Datenstrategie der Bundesregierung zusammenfassen und daraus Handlungen und Maßnahmen ableiten. Ein (Open) Dateninstitut kann dann ein sinnvoller Schritt sein. Bei den Mobilitätsdaten ist die Verpflichtung “Echtzeitdaten unter fairen Bedingungen bereitzustellen” ein guter erster Schritt. Allerdings bleibt offen, ob mit “fair” auch “gemeinfrei” gemeint und umgesetzt wird, oder am Ende doch Mobilitätsdaten privatisiert werden.
Bürger:innenrechte und IT-Sicherheit: Hier zeigt sich ein erfreulicher Perspektivwechsel in der Digitalpolitik
Fast nirgendwo wird der Perspektivwechsel in der Digitalpolitik deutlicher als in den Maßnahmen im Bereich Bürger:innenrechte und IT-Sicherheit: Die Sicherung der Netzneutralität, das Recht auf Verschlüsselung, die Herstellerhaftung, die Verpflichtung zur Schließung von Sicherheitslücken, das Recht auf Interoperabilität und Portabilität, die Abschaffung des Hackerparagrafen sowie die Absage an das Instrument der Hackbacks - das liest sich wie eine Wunschliste aus der Zivilgesellschaft, die hier umgesetzt werden soll. Darüber hinaus liefert die Ampel eine enorm wichtige Verpflichtung mit den Absagen an biometrische Erkennung im öffentlichen Raum und an staatliche Scoring Systeme durch KI.
Bildung und Kompetenzen: Digitale Mündigkeit in den Fokus rücken
Die angestrebte Stärkung der Digitalkompetenz wird im Koalitionsvertrag nicht weiter ausgeführt. Dieses Vorhaben ist fundamental für das Gelingen aller weiteren Maßnahmen der Digitalpolitik. Es braucht ein vielfältiges Instrumentarium, um digitale Kompetenzen auf allen Ebenen und in allen Sektoren der Gesellschaft zu stärken. In den Fokus rücken sollten auch nicht nur IT-Kompetenzen, sondern Kompetenzen im Bereich der digitalen Mündigkeit, also des souveränen, kritischen, eigenständigen Umgangs mit digitalen Werkzeugen und des Hinterfragens von digitalen Strukturen.
Wir begrüßen es sehr, dass die Ampel “zivilgesellschaftliches Bildungsengagement und die Einbindung außerschulischer Akteure” in diesem Bereich unterstützen möchte. Mit dem medienpädagogischen Programm Jugend hackt gibt es hier bereits einen guten Anknüpfungspunkt. Auch Offene Werkstätten und Makerspaces sollten stärker einbezogen werden.
Institutioneller Rahmen: same same but different?
Die neue Regierung gibt uns im Koalitionsvertrag nur wenig Aufschluss darüber, in welcher institutionellen Konstellation die ambitionierten Pläne der Digitalpolitik umgesetzt werden sollen. Es wird wohl kein Digitalministerium geben, sondern ein neues zentrales Digitalbudget, das wahrscheinlich im Bundeskanzleramt angesiedelt wird. Gesetzentwürfe sollen sich zudem einem Digitalisierungscheck unterziehen. Ob diese “kleine Lösung” die passende Form für eine umfassend neue Digitalpolitik ist, bleibt abzuwarten. Wir sind gespannt, wie die Ausgestaltung aussehen wird.