Das Digitale Ehrenamt ist ein wichtiger Baustein für eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik

    Das Superwahljahr 2021 hat bereits volle Fahrt aufgenommen. Digitale Themen standen noch nie so sehr im Fokus wie jetzt. Aus unserer Sicht kommt der Zivilgesellschaft und insbesondere den Digital Ehrenamtlichen bei der Gestaltung von Digitalisierung eine Schlüsselrolle zu.

    Aktivitäten im Digitalen Ehrenamt

    Vor etwa einem Jahr haben sich viele von uns plötzlich im Homeoffice wiedergefunden. Unsere Freizeitaktivitäten und auch unser ehrenamtliches Engagement musste sich auf einmal komplett digital abspielen. Während diese Situation für viele von uns eine große Umstellung bedeutete, gibt es auch außerhalb von Pandemiezeiten Menschen, deren Ehrenamt sich häufig im oder mit dem Digitalen abspielt. Im Digitalen Ehrenamt sind Engagierte an der Schnittstelle von Technologien und Gesellschaft aktiv. Sie möchten mehr staatliche Transparenz und zivilgesellschaftliche Beteiligung möglich machen und erproben, wie sich (digitale) Technologien zur Demokratisierung einsetzen lassen.

    Digital Ehrenamtliche haben mit der Coronapandemie vermehrt Aufmerksamkeit bekommen. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen haben Unterstützung gesucht, um ihre Arbeit mit digitalen Möglichkeiten weiterhin durchführen zu können –- so gut das eben geht. Digital Ehrenamtliche helfen dabei, sichere und Offene Strukturen zu schaffen, in denen zivilgesellschaftliches Engagement sich weiterentwickeln kann. Offen meint hier, dass die Strukturen selbst Beteiligung zulassen, indem z. B. eine Konferenzsoftware individuell von Interessierten angepasst werden kann. Offen meint auch, dass die Funktionalität von Anwendungen überprüft werden kann, und dass durch die genutzten Strukturen keine Abhängigkeiten von Konzernen entstehen. Zusammengefasst bedeutet Offen transparent, veränderbar und teilbar. Dabei setzt das Digitale Ehrenamt nicht allein auf Digitalisierung. Weder sind digitale Werkzeuge ein Ersatz für persönliche, physische Treffen und Austausch, noch ein Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme.

    Ziel: Gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen

    Digital Ehrenamtliche engagieren sich in der Förderung gesellschaftlicher Teilhabe. Dies kann die Entwicklung einer Plattform sein, die Informationen, die z. B. im parlamentarischen Betrieb anfallen, für Journalist:innen und Aktivist:innen öffnet und automatisch z. B. zur Recherche für ein bestimmtes Thema durchsuchbar macht. Das können Visualisierungen von Haushaltsdaten sein, die Haushaltspläne von Kommunen in leicht verständliche und übersichtliche Grafiken überführen. Auch die Zusammenarbeit mit Verwaltungen und die gemeinsame Überlegung, wie (digitale) Dienstleistungen des Staates gemeinwohlorientiert umgesetzt werden können, steht im Fokus.

    Digitales Ehrenamt ist Ehrenamt und braucht mehr Anerkennung

    Digitales Ehrenamt ist von der Idee vergleichbar mit Ehrenamtlichen, die im Rettungsdienst arbeiten, also einen Teil ihrer Freizeit dafür aufbringen, hauptamtliche Retter:innen zu unterstützen. Es gibt aber auch klare Unterschiede zu diesem herkömmlichen Ehrenamt. Digital Ehrenamtliche liefern Infrastruktur für unser Gemeinwesen. Durch ihre Arbeit können sie z. B. auch den Rettungsdienst unterstützen, indem sie mit Retter:innen gemeinsam überlegen, wie sich Hilfsaktionen durch digitale Werkzeuge wie eine App unterstützen lassen und aufzeigen, wie die wichtige Kommunikation unter Rettenden sicher und stabil gewährleistet werden kann.

    Anders als beim »klassischen« Ehrenamt erfährt das Digitale Ehrenamt aber noch wenig Unterstützung und wird selten mitgedacht, wenn vom Ehrenamt die Rede ist. Es gibt keine oder nur sehr vereinzelt Förderungen für Schulungen, keine Förderung bei der Ausrüstung, also z. B. dem Betrieb von Servern. Es gibt nur wenige Orte, an denen sich Digital Ehrenamtliche treffen können. Denn auch für ihre Arbeit ist der persönliche, menschliche Austausch unerlässlich. Ebenso wenig gibt es Förderungen für ehrenamtlich entwickelte Anwendungen zur Gestaltung demokratischer Prozesse, Informations- oder Meinungsaustausch. Dabei nutzen viele von uns fast täglich solche Tools wie Freie Videokonferenzsysteme, digitale Nachschlagewerke, Messenger, Petitionsplattformen oder automatisch generierte Behördenauskünfte.

    Trotz fehlender Förderung haben sich viele Digital Ehrenamtliche besonders in Zeiten der Pandemie an vielen Stellen verausgabt, um staatliche Versäumnisse in der Bereitstellung digitaler Infrastruktur aufzufangen. Sie haben Offene Lernräume für Schulen aufgesetzt, Nachbarschaftsangebote koordiniert, Offene Daten zur Pandemie visualisiert und zugänglich gemacht und sich für einen Austausch auf Augenhöhe zwischen Staat und Bevölkerung eingesetzt.

    Förderung des Digitalen Ehrenamts durchsetzen

    Um dieses Engagement zu würdigen und auf eine solide Basis zu heben, fordert die Open Knowledge Foundation (OKF) seit vielen Jahren passendere Förderstrukturen für das Digitale Ehrenamt zu konzipieren, nicht zuletzt, damit wir alle ihre Expertise weiter nutzen zu können.

    Digitales Ehrenamt braucht ebenso verlässliche Strukturen wie es Ehrenamtliche im Rettungsdienst brauchen, auch außerhalb von Krisenzeiten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die einzelnen Förderelemente nicht eins zu eins übertragen lassen, z. B. weil keine »neuen« oder »innovativen« Produkte entwickelt werden, sondern sich auf neue Zugänge zu Vorhandenem konzentriert wird. Dies wird in Netzwerken wie Offenen Werkstätten deutlich, die ebenfalls zum Digitalen Ehrenamt gezählt werden können. Dort wird ergänzend zu Offener Software auch an entsprechender Hardware gebastelt. Dabei kann es sich um Rechner handeln, die repariert werden oder deren Module auseinandergenommen und auf ihre Funktionalität untersucht werden. In Offenen Werkstätten kann die Weiterentwicklung von barrierefreien Zugängen zu Gebäuden Thema sein oder die Konzipierung und Herstellung von Face Shields für Ärzt:innen.

    Technikfolgenabschätzung durch zivilgesellschaftliche Expert:innen

    Auf diesem Weg des Erforschens, Hinterfragens, der Neuausrichtung und Entwicklung haben zivilgesellschaftliche Akteur:innen bereits über viele Jahre hinweg Expertise über die Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft erlangt. Viele dieser Akteur:innen haben zudem ein ausgeprägtes technisches Fachwissen und können Soft- und Hardware dahingehend überprüfen, dass sie auch tatsächlich das – und nur das – tut, was sie tun soll. Auf dieser Grundlage fordert die OKF deshalb auch, dass Expert:innen der digitalen Zivilgesellschaft vor dem Einsatz neuer Technologien bei einer Technikfolgenabschätzung einbezogen werden.

    Digital Ehrenamtliche können dabei unterstützen zu beurteilen, ob und welchen gesellschaftlichen Mehrwert Technologien haben. An dem Beispiel der Corona-Warn-App zeigt sich, was die Vorteile eines solchen Vorgehens sein können: Kriterien wie Barrierefreiheit, Datenschutz, Offener Quellcode und eine eng abgesteckte Zieldefinition unter Beteiligung der Betroffenen können die Akzeptanz von bestimmten Technologien erhöhen. Hierdurch wird wiederum ihr Einsatz wahrscheinlicher und damit auch ihr angestrebter Nutzen. Und am wichtigsten: Es stärkt das Vertrauen zwischen Staat und Bürger:innen.

    Mehr Offene Daten und Informationen für ehrenamtliche Tätigkeit

    Es braucht mehr Offene Daten, um die digitale Zivilgesellschaft zu ermächtigen, gute Ideen zu entwickeln und digitale Anwendungen für unser Gemeinwesens zu entwickeln. Offene Daten sind nicht personenbezogen, sondern z. B. Plenarprotokolle des Parlaments, Registerdaten von Unternehmen, Daten über die Müllentsorgung oder den öffentlichen Haushalt, Verträge zwischen Staat und Auftragnehmer:innen, Gesetzesentwürfe, Nahverkehrspläne und Daten über Wasserqualität.

    Offene Daten sind tabellarisch aufbereitet und können von Mensch und Maschine gelesen werden. Dies ermöglicht ihre automatische Verarbeitung. Durch Offene Daten und Informationen können wir staatliches Handeln nachvollziehen, hinterfragen und begleiten. Bisher haben Bürger:innen allerdings nur eingeschränkte rechtliche Grundlagen, um diese Informationen zu erhalten. Und staatliche Stellen lassen sich vielerorts nicht gerne in die Karten gucken und versuchen, öffentliche Informationen geheim zu halten.

    Um diese demokratische Schieflage auszugleichen, fordert die OKF deshalb die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz. Informationen und Offene Daten sollten proaktiv von staatlichen Stellen veröffentlicht werden. Offene Daten und Informationen stellen nicht nur ein Gemeingut dar, sondern ermöglichen überhaupt erst demokratische Kontrolle. Damit sind sie essentiell für eine Stärkung des Vertrauens der Bürger:innen in politische Entscheidungen.

    Nachhaltigkeit sicherstellen: Kreislaufwirtschaft der Daten ermöglichen

    Die Prinzipien von Nachhaltigkeit sollten zudem auch an diese Werkzeuge angelegt werden. Möglichkeiten der Weiterverarbeitung und Nachnutzung von Daten sind dabei zentral. Der Bund muss dies sicherstellen, indem er seine Förderbedingungen entsprechend anpasst. Dies kommt dann auch wieder der digitalen Zivilgesellschaft zugute, die diese Daten nutzt, um damit wieder gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen und Ideen zum Umgang mit ihnen zu entwickeln. Generell sollte hier eine Kreislaufwirtschaft der Daten entstehen. Wer öffentliche Daten nutzt, muss auch wieder etwas zurückgeben. Dies kann z. B. so geregelt werden, dass neue Daten wiederum Frei und Offen zur Verfügung gestellt werden müssen.

    Außerdem müssen Anwendungen, die auf dieser Grundlage entstehen, grundsätzlich als Open Source lizenziert werden. Dies gilt im Sinne von »Public Money, Public Code« besonders dann, wenn Steuergelder in die Entwicklung von Software fließen. Auch dies stellt sicher, dass Software geteilt, angepasst oder verändert sowie von allen genutzt werden kann. In der Vergabe von Aufträgen sollte deswegen Open-Source-Software bevorzugt werden. Frankreich zeigt Deutschland an dieser Stelle wie es geht: Der Grundsatz wird dort bereits seit 2012 angewandt.

    Mehr Offenheit für die staatliche Übernahme von guten Ideen aus der Zivilgesellschaft

    Digital Ehrenamtliche entwickeln ebenfalls Open-Source-Software. Viele von ihnen streben aber nicht an, ihre Produkte »auf den Markt zu werfen«. Sie sind vielmehr daran interessiert, ein erfolgreich erprobtes und gemeinwohlorientiertes Beispiel dafür zu entwickeln, wie bestimmte staatliche Leistungen verbessert werden können. Damit möchten sie dem Staat einen Prototypen anbieten, den dieser aufnehmen und in seine digitale Infrastruktur integrieren kann. Projekte wie kleineanfragen.de zeigen damit auf, was digitale Daseinsvorsorge bedeutet und wie der Staat diese nutzbringend umsetzen kann. Die Aufnahme einer solchen Anwendung in die öffentliche Hand und der anschließende öffentliche Betrieb für die Gesellschaft ist zudem ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer vollständigen Anerkennung und Wertschätzung des Digitalen Ehrenamts.

    Wissen teilen: Freie und Offene Lizenzen zur Pflicht machen

    In der Coronapandemie haben wir auch erlebt, dass Digital Ehrenamtliche elementares Wissen mitbringen, um in Krisensituationen schnell handlungsfähig zu werden. Denn die Erfahrungen der Open-Source-Bewegung mit Freier Lizenzierung lassen sich sinnvoll auch auf andere Anwendungsgebiete übertragen, wenn wir z. B. an medizinische Hardware von Schutzbrillen bis Beatmungsgeräten denken.

    Viele dieser Errungenschaften wurden oder werden staatlich gefördert. Um sicherzustellen, dass die Ergebnisse auch wieder der Gesamtgesellschaft zukommen und nicht lediglich einzelne Unternehmen davon profitieren, muss die Bundesregierung die konsequente Verwendung Offener Lizenzen bei staatlich geförderten Produkten umsetzen. Nur dann können auch Digital Ehrenamtliche, ohne juristische Konsequenzen fürchten zu müssen, wirksam werden. Neben Soft- und Hardware gilt dies natürlich auch für Forschungsergebnisse, die staatlich finanziert werden.

    Offene Technologiebildung für selbstbestimmte Demokrat:innen

    Dies alles kann nur möglich werden, wenn wir unsere Informationsgesellschaft für den Umgang mit und das Verständnis von digitalen Werkzeugen vorbereiten. Unsere Gesellschaft ist in nahezu jeder Pore von Technologien verschiedenster Art durchdrungen. Damit Technologien aber nicht nur ohne Rücksicht auf ihre Konsequenzen eingesetzt werden, müssen Menschen aller Altersgruppen befähigt werden, sich selbstbestimmt und kritisch mit der Nutzung digitaler Medien und Technik auseinanderzusetzen. Diese Offene Technologiebildung wird ebenfalls von vielen Digital Ehrenamtlichen unterstützt, indem sie Offene Lehr- und Lernmaterialen entwickeln, Workshops geben, erklären, ausprobieren und Technik auseinandernehmen.

    Es fehlt aber an einer sinnvollen Integration Offener Technologiebildung in das Bildungssystem. Bestehende Ansätze wie die »Initiative Digitale Bildung« der Bundesregierung und dem damit verbundenen Aufbau einer nationalen Bildungsplattform sollten deshalb hauptsächlich auf Offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources) setzen. Dies sichert die Vielfalt der Materialien, da sich mehr Menschen an der Entwicklung beteiligen können, unterstützt dadurch auch die Zugangsgerechtigkeit zu Bildung und Wissen im Allgemeinen und kann die Aktualität von Lernmaterialien sicherstellen.

    Dies kann aber nicht rein ehrenamtlich geleistet werden. Speziell im Bereich Jugendbildung braucht es zusätzlich eine nachhaltige, verlässliche und langfristige Förderung von jugendlichem Engagement sowie pädagogischen und technisch geschultem Personal, das Jugendliche in physischen und digitalen Lernräumen begleitet. Die OKF fordert auch hier, dass entsprechende Förderprogramme bereits bestehende, erfolgreiche Projekte unterstützen sollten, statt immer neue Modelle zu fördern. Nur so können haupt- und ehrenamtliches Engagement der digitalen Zivilgesellschaft langfristig gut ineinandergreifen.

    Dieser Beitrag wurde zuerst am 1. April 2021 im Newsletter des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) veröffentlicht.