Für den Schutz des Pseudonyms
In diesem Blogartikel meldet sich die OKF-Datenschutzexpertin Beata Hubrig zu Wort. Die Rechtsanwältin tritt dafür ein, dass Nutzer*innen Profile auf Facebook etc. weiterhin unter Pseudonymen verwenden können. Das Oberlandesgericht München hatte zuletzt anders geurteilt. Update vom 27.01.2022: Der Bundesgerichtshof entschied zugunsten der pseudonymisierten Nutzung.
Unter einem Pseudonym in der Öffentlichkeit auftreten zu können, ist ein eigentlich unumstrittenes, notwendiges Schutzrecht. Diese Meinung vertrete auch ich, gerade im digitalen öffentlichen Raum, weil ich mich – wie viele andere Nutzer*innen auch – in sozialen Netzwerken gefährdet fühle. Dabei gilt zu bedenken, dass sich dieses Gefühl sogar für mich als weiße Frau mit überdurchschnittlich guter Ausbildung und finanzieller Unabhängigkeit einstellt. Was die Mehrheit der Menschen weltweit tagtäglich an Anfeindungen, Herabsetzungen und Bedrohungen aushalten muss, wenn sie sich an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt, grenzt oft an brutale Einschüchterung. In den allermeisten Fällen finden die übelsten digitalen Ausfälle sowieso unbehelligt unter einem bürgerlichen Namen statt.
In der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird Pseudonymisierung definiert als die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise, dass die personenbezogenen Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können, sofern diese zusätzlichen Informationen gesondert aufbewahrt werden und technischen und organisatorischen Maßnahmen unterliegen, die gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten nicht einer identifizierten oder identifizierbaren natürlichen Person zugewiesen werden. Diese Art pseudonymer Daten bewirkt, dass die Risiken der Datenverarbeitung für die Grundrechte betroffener Personen vermindert werden.
Am 08. Dezember 2020 entschied das Oberlandesgericht München, dass es einen derartigen rechtlichen Anspruch für Nutzer*innen sozialer Netzwerke nicht gäbe. Zu seiner Begründung zog es ironischerweise gerade die Gründe für einen notwendigen Schutz durch Pseudonymisierung heran und führte aus:
Aufgrund des mittlerweile weitverbreiteten sozialschädlichen Verhaltens im Internet – Cyber-Mobbing, Belästigungen, Beleidigungen und Hassrede – hat die Beklagte ein legitimes Interesse daran, bereits präventiv auf ihre Nutzer*innen einzuwirken.
Das bundesrechtlich postulierte Recht auf pseudonyme Nutzung von Telemedien aus § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG soll nach Ansicht des OLG München (Urteil vom 8. Dezember 2020 - 18 U 2822/19 Pre) mit der Datenschutzgrundverordnung kollidieren und hinter dieser zurücktreten. Das Gericht findet dann auch in der DSGVO kein Recht auf Psydonymisierung der Nutzer*innendaten. Es führt insoweit aus:
Denn der (…) Entstehungsgeschichte der Datenschutzgrundverordnung lässt sich entnehmen, dass der europäische Normgeber bewusst davon abgesehen hat, dem Anbieter von Telemedien die Verpflichtung aufzuerlegen, die Nutzung von Telemedien anonym oder unter einem Pseudonym zu ermöglichen.
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei diesem Schweigen der DSGVO über eine derartige Verpflichtung nicht um ein “beredtes” Schweigen. Vielmehr postulierte der europäische Gesetzgeber mit seiner Legaldefinition des Begriffes Pseudonymisierung in Art. 4 Lit. 5 DSGVO bereits am Anfang seines Regelkanons die Verarbeitung pseudonymisierter Daten als Normalfall. Denn der Eingriffscharakter durch pseudonymisierte Verarbeitung ist geringer und entspricht dem Grundsatz der Datenminimierung. Jede Datenverarbeitung sei dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß zu beschränken, Art. 5 Abs. 1 Lit c DSGVO.
Dieser Grundsatz zieht sich durch das Regelungswerk der DSGVO und findet auch bei Nutzungsverträgen von Anbietern sozialer Netzwerke konkrete Anwendung. Die Verarbeitung personenbezogener Daten wird im Rahmen der Vertragsbeziehung auf die Erforderlichkeit beschränkt. Für die Nutzung eines Social-Media-Accounts ist der Klarname nicht erforderlich. Darüber hinaus erfüllt der Anbieter mit der Pseudonymisierung seine Pflicht, sein System datenschutzfreundlichen zu gestalten, Art. 25 Abs. 1 DSGVO.
Das OLG München scheint in seiner Entscheidung grundsätzlich den Unterscheid zwischen Anonymisierung und Pseudonymisierung zu verkennen. Schützen sich Nutzer*innen durch die Verwendung eines Pseudonyms, sind sie von ihrem Vertragspartner Facebook (Meta) weiterhin identifizierbar. Lediglich Dritte, die außerhalb des Konzerns stehen und keinen Zugriff auf die Kontakdaten haben, können nicht
präventiv auf … Nutzer einzuwirken.
Nutzer*innen wären in der Folge vor Einschüchterungen im Meinungskampf geschützt.
Ob diese bittere Ironie vom OLG (und LG Traunstein sowie LG Ingolstadt) nicht gesehen oder ausdrücklich gewollt wird, kann ich den Ausführungen nicht direkt entnehmen. Schwierig finde ich jedenfalls die zur Schau gestellte rechtspolitische Ansicht, das Recht auf informationelle Bestimmung umfasse nicht das Recht, seine Persönlichkeit im Vorfeld zu schützen, wenn ich als Teil einer Minderheit an der öffentlichen Meinungsbildung teilnehme.
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Impressumspflicht auf privaten Webseiten, die die ladungsfähige Anschrift der WebseitenbetreiberIn verlangt. Hier sollte ein Ausnahmetatbestand für Privatpersonen in Erwägung gezogen werden. Cyber-Mobbing, Belästigungen, Beleidigungen und Hassrede, wie das OLG ausführte und darüber hinaus persönliche und familiäre Bedohung durch gewaltbereite Menschen sind an der Tagesordnung. Sanktionen nach einer Rechtsverletzung reichen hier nicht aus, um eine pluralistische Gesellschaftsform zu erreichen.
Die bundesrichterliche Entscheidung über die Revision gegen die Entscheidung des OLG München wird Ende diesen Monats verkündet:
Verkündungstermin in Sachen III ZR 3/21 und III ZR 4/21 am 27. Januar 2022, 10.00 Uhr, Sitzungssaal E 101
(Klarnamenpflicht bei der Nutzung eines sozialen Netzwerks)
Ergänzung vom 28.01.2022: Die heutige Bundesgerichtshof-Entscheidung vom 27. Januar 2021 - III ZR 3/21 und III ZR 4/21 fällt zugunsten der pseudonymen Nutzung von sozialen Netzwerken aus. Das Verhältnis der Datenschutzgrundordnung (DSGVO) zum § 13 Telemediengesetz (TMG) wird dabei nicht geklärt. Das Gericht stellt auf die Gesetzeslage vom 30. April 2018 ab, einen Monat bevor die DSGVO wirksam wurde. In der Entscheidung zieht der BGH das Recht auf pseudonyme Nutzung aus Treu und Glauben, § 242 Bürgerliches Gesetzgebuch, und § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG. In der Presseerklärung des BGH heißt es:
Nach den für diesen Fall maßgeblichen Nutzungsbedingungen vom 19. April 2018 hat der Kontoinhaber bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet. Diese Bestimmung ist unwirksam, weil sie den Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Nutzungsvertrag der Parteien am 30. April 2018 entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligte. Sie ist mit dem in § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht zu vereinbaren. Eine umfassende Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie) ergibt, dass es der Beklagten zwar nicht zumutbar gewesen ist, die Nutzung des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer ihr zuvor – etwa bei der Registrierung – im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte. Für die anschließende Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym ist die Zumutbarkeit jedoch zu bejahen.
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2022013.html