Von Militärgeschichte zu Datenspaziergängen - eine Bestandsaufnahme der digitalen Zivilgesellschaft
Am 18. Mai 2021 fand das erste Bildschirmgespräch anlässlich des 10. Geburtstags der OKF in diesem Jahr statt. In einer “Bestandsaufnahme der digitalen Zivilgesellschaft” diskutierten die Gäste Elisa Lindinger (Initiative Digitale Zivilgesellschaft), Victoria Boeck (Technologiestiftung Berlin) und Maximilian Voigt (Verbund Offener Werkstätten), wer zu dieser zählt, wie sie sich politisch positioniert und - vor allem - wie sie sich politisch mehr Gehör verschaffen kann. Die Aufzeichnung der Veranstaltung kann hier angesehen werden.
Wir freuen uns sehr, diese drei Expert*innen für die Veranstaltung gewonnen zu haben, die spannende Ein- und inspirierende Ausblicke geben konnten. Einige davon fassen wir hier zusammen.
Vom Wer, Wie und Was der digitalen Zivilgesellschaft
Die OKF zählt sich dezidiert zur digitalen Zivilgesellschaft. Auch deshalb war es uns ein Anliegen, näher zu identifizieren, was es mit ihr eigentlich auf sich hat. Dabei stellte sich gleich zu Anfang heraus, dass dies gar kein leichtes Unterfangen ist. Schon die allgemeine, “analoge” Zivilgesellschaft ist kein definierter Begriff. Sie wird spannenderweise von vielen Menschen außerhalb der Zivilgesellschaft mit Militärgeschichte assoziiert - was ist da nur los? Und auch die digitale Zivilgesellschaft zeichnet sich nicht durch besondere Trennschärfe aus. Einig waren sich die Gesprächsteilnehmenden darüber, dass sich die digitale Zivilgesellschaft seit ca. 20 Jahren formiert und sowohl aus digitalen oder netzpolitischen Expert*innen als auch aus klassischen gesellschaftlichen Akteur*innen besteht, die ihre bestehenden Angebote mit digitalen Mitteln ergänzen wollen. Ehren- und Hauptamtliche arbeiten in der digitalen Zivilgesellschaft zusammen, wobei Hauptamtliche häufig die Rolle übernehmen, sich dem wachsenden Verwaltungsaufwand zu stellen und als Ansprechpersonen zu festen Zeiten zur Verfügung zu stehen. Die Einbindung Hauptamtlicher sorge demnach auch für eine stärkere Positionierung gegenüber der Politik, welche Vertreter*innen ehrenamtlicher Perspektiven nach wie vor wenig einbeziehe.
Diese “Professionalisierung” begann vor ca. 10 Jahren, u. a. durch die Entstehung von Organisationen wie der OKF. Seitdem positioniert sich die digitale Zivilgesellschaft nachhaltiger wahrnehmbar politisch und gesellschaftlich mit Forderungen, Vorschlägen und Aktionen. Dabei bildet sie einerseits ein Gegengewicht zur Politik und arbeitet andererseits mit dieser zusammen. Noch fänden zivilgesellschaftliche Akteure jedoch zu wenig Gehör in politischen Kontexten.
Dabei hat sich vor allem im vergangenen Jahr einerseits die Bekanntheit des Begriffs digitale Zivilgesellschaft erhöht (#Corona), andererseits positioniert sich diese seitdem auch noch einmal viel stärker in der Akteurslandschaft – nicht zuletzt durch die Initiative digitale Zivilgesellschaft, die sich zu Beginn der Pandemie formierte und seitdem von sich reden macht. Der Zeitpunkt war dabei kein Zufall. Denn spätestens die Verlagerung von Arbeit, Schule, Uni oder auch Zusammenkünfte mit Freund*innen in die eigenen vier Wände und den digitalen Raum machte vielen Menschen die Bedeutung digitaler Infrastrukturen und technologischer Tools deutlich. Ohne diese wäre ein Großteil der Menschen seit mehr als einem Jahr fast vollständig vom öffentlichen Leben abgeschnitten.
Angebot: Zivilgesellschaft bildet Verwaltungen aus
Doch wie können die Ideen, die Expertise und Erfahrungen der digitalen Zivilgesellschaft noch besser ihren Weg in Politik und Verwaltung finden? Einerseits besteht der Wunsch nach mehr Engagement von Seiten der Verwaltung und Politik. Hier gibt es Individuen und einzelne Behörden, die Vorreiter*innenrollen annehmen, selbst Expertise besitzen oder sich aneignen. Doch bedenkt man, wie umfassend Digitalisierung Teil unseres Lebens ist, reicht dies nicht auch. Wie wäre es also zum Beispiel mit zivilgesellschaftlich organisierten Weiterbildungen für Vertreter*innen aus der Verwaltung? So erfreuten sich die von der Datenschule organisierten Datenspaziergänge bereits großer Beliebtheit. Natürlich könnten zivilgesellschaftliche Akteur*innen auch selbst aktiv als gewählte Repräsentant*innen in die Politik einsteigen.
Bei der Frage nach einer Zukunftsvision für die digitale Zivilgesellschaft waren sich die Gäste einig: Mehr Zusammenarbeit muss her! So muss einerseits die digitale Zivilgesellschaft ein Verständnis für bürokratische und verwalterische Strukturen und Prozesse aufbringen. Andererseits müssen Politik und Verwaltung offen sein und die Expertise anerkennen, welche die digitale Zivilgesellschaft in sich vereint. Vielleicht braucht es dafür auch gar nicht den digitalpolitischen Aufstand, den wir angekündigt hatten, sondern gegenseitige menschliche und fachliche Zugewandtheit.
Wir danken herzlich unseren Gästen Tori Boeck, Maximilian Voigt und Elisa Lindinger für die interessanten Einblicke, die sie uns im Rahmen des Bildschirmgesprächs geben konnten und freuen uns sehr auf alles, das wir als Akteur*innen der digitalen Zivilgesellschaft in Zukunft gemeinsam schaffen werden.
In den kommenden Monaten folgen weitere Gespräche zu anderen Kernthemen der OKF, die wir hier sowie im Newsletter bekanntgeben werden.