Die erzwungene Öffnung der juris-Datenbank

    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (CC BY-SA 3.0)

    Von der großen Öffentlichkeit unbemerkt läuft seit einigen Jahren ein Verfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesverfassungsgericht und der LeXxpress-GmbH. Die Firma LeXxpress klagte darauf im gleichen Maße wie der Mitbewerber die juris GmbH mit Urteilen und deren Begründungen des Gerichts beliefert zu werden. Im Kern des Verfahrens geht es um die Dokumentation und Aufbereitung der Entscheidungen und Entscheidungsbegründungen des höchsten deutschen Gerichts. Dieses schloss 1991 einen Vertrag mit der juris-GmbH über die alleinige “automatisierte Rechtsdokumentation” seiner wegweisenden Gerichtsentscheidungen. Die juris-GmbH wurde in den 80er Jahren u.a. vom Bund gegründet und soll in einer Datenbank Gerichtsentscheidungen für alle Bundesgerichte aufbereiten.

    Nach einer Rüge der Europäischen Kommission privatisierte die Bundesregierung die Gesellschaft bis zur Schwelle der Anteilsmehrheit, Miteigentümer sind mit unterschiedlichen Anteilen einige Verlage und das Saarland.

    Jeder Jurastudent, praktizierende Anwalt oder interessierte Laie stößt beim Suchen nach Gesetzen auf die juris-Datenbank und müsste sie nutzen können. Denn derzeit ist sie die umfangreichste Rechtsdatenbank im deutschsprachigen Raum. Das liegt nicht nur an den ca. 4 Millionen Euro, mit der die juris-GmbH jährlich vom Bund bezuschusst wird, sondern auch an der exklusiven Belieferung mit besonders aufbereiteten Urteilen durch die Bundesgerichte. Durch komplizierte Vertragskonstruktionen räumen diese juris zudem ein Alleinverwertungsanspruch ein. Ohne Einwilligung der GmbH ist es ihnen untersagt ihre Dokumente anderen Datenbankbetreibern zu überlassen.

    Zu allem Überfluss ist die Datenbank des Monopolisten durch eine Paywall vor übermäßiger Nutzung geschützt. Eine Weiterverwendung der amtlich erstellten Inhalte außerhalb der Datenbank verbieten die Nutzungsbedingungen. Einen kleinen Vorteil von dem ganzen Konstrukt hat bisher nur Frau Leutheusser-Schnarrenberger, deren Justizministerium als eine der wenigen Bundesbehörden auf nennenswerte Lizenzeinnahmen im Umfang von 1,3 Millionen verweisen kann. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist das angesichts der 4 Millionen Ausgaben natürlich eine Milchmädchenrechnung.

    Einen Keil in diese heile Welt der Verwertung von eigentlich gemeinfreien Amtlichen Werken hat nun der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg getrieben. Es gab dem Kläger im genannten Fall recht und verurteilte die Bundesrepublik Deutschland der LexXpress-GmbH und anderen Firmen sämtliche Entscheidungen zu übermitteln, die sie seit dem 1. Juni 2009 auch der juris-GmbH zur Veröffentlichung zukommen lassen hat. Dies muss laut der inzwischen veröffentlichten Urteilsbegründung aus Gleichbehandlungsgründen zu den selben Konditionen und im selben Umfang geschehen wie bei der juris-GmbH. Weiter stellt das Gericht fest, dass die begehrten Informationen des Gerichts, inklusive der aufbereiteten Orientierungssätze aus der Feder der Beamten nicht Urheberrechtlich geschützt sind, da sie als “amtlich verfasste Leitsätze” gemeinfreie amtliche Werke darstellen. Die ausschließliche Dokumentierung der Urteile durch die juris-GmbH stellt weiter eine “sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung” gegenüber den Mitbewerbern dar (Hier die Presseerklärung zum Urteil vom Verwaltungsgerichtshof). Schon vor dem Urteil kamen unabhängige Rechtsexperten zu dem noch weitergehenden Schluss, dass die gesamte juris-Datenbank als amtliche Veröffentlichtung angesehen werden muss und damit gemeinfrei und nicht monopolisierbar wäre. (Hier gibt es die genaue Argumentationskette zur Gemeinfreiheit der juris-Datenbank.)

    Wegen den weitreichenden Auswirkungen des Urteils hat das Gericht eine Revision zugelassen, die das BVerfG nach eigener Aussage auch in Erwägung zieht. Die erneute Verhandlung würde am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stattfinden, das damit auch über seine eigene Praxis der ausschließlichen Zusammenarbeit mit der juris GmbH entscheiden würde.

     

    Wir hoffen, dass die Bundesgerichte die Zeichen der Zeit richtig deuten und in Zukunft auf eine allgemein zugängliche Datenbank setzen, die mit einer offenen API ausgestattet ist. Diese sollte für die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Rechtspflege frei nutzbar sein und durch weitergehende Angebote der Privatwirtschaft ergänzt werden, denn besonders frei zugängliche Gesetze, Urteile und Urteilsbegründungen sind von fundamentaler Wichtigkeit für einen funktionierenden Rechtsstaat. Wir als OKF werden dafür arbeiten, dass Gesetze im übertragenen Sinne von der Wiege bis zur Bahre offen, im Sinne der Open Definition sind. Instrumente die dies sicherstellen, könnten ein Bundesgit und nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ein OpenUrteil sein.

     

    Weitere Informationen: Übersicht zum Projekt BundesGit

    An einer offenen Rechtsdokumentation versucht sich www.openjur.de

    Auf fragdenstaat.de gibt es hier eine Liste von Informationsfreiheitsanfragen zum Fall: fragdenstaat.de/behoerde/bundesverfassungsgericht