Der Deutschland-Stack: Ein guter Ansatz mit vielen offenen Fragen
Der Deutschland-Stack: Mit großem Titel und eigener Abteilung im BMDS will das Ministerium Bewegung in die Verwaltungsdigitalisierung bringen. Zu der Frage, was sich hinter dem Namen verbirgt und was das Ministerium vorhat, gibt es seit Anfang Oktober erste Informationen aus dem Ministerium, inklusive eigener Webseite. Dabei bleiben für uns aktuell noch viele Fragen offen.
Die Idee einer umfassenden Betrachtung der IT-Architektur der Verwaltung hat viel Potenzial, Abhängigkeiten entschieden zu bearbeiten und wichtige Basiskomponenten als Teil der Daseinsvorsorge zentral bereitzustellen. Dabei könnte auch neue Bewegung in die dringend notwendige Grundlagenarbeit kommen, insbesondere beim Datenmanagement. Inwiefern der große Wurf nun aber tatsächlich kommen wird, bleibt schwierig abzuschätzen, auch weil es weiterhin an einer klaren Definition mit Zielbild und konkreten Maßnahmen fehlt. Unsere umfassende Kommentierung im Rahmen des Konsultationsverfahrens gibt es hier.
Was ist ein Stack?
Zur Einführung: Unter einem (Tech)-Stack versteht man allgemein den Blick auf die verschiedenen Komponenten, die eine Endanwendung möglich machen. Hinter einer Verwaltungsleistung stehen neben der Antragsplattform unter anderem noch Fachverfahren, Serverinfrastrukturen, Standards und Datenmanagementsysteme. Die Analyse als Stack ermöglicht dabei, Stärken und Schwächen der einzelnen Komponenten zu analysieren, Abhängigkeiten zu erkennen und so gezielte Nachbesserungen zu ermöglichen.
Was will der D-Stack sein?
In den vergangenen Monaten wurde offen gerätselt, was sich hinter dem Großvorhaben verbergen soll. Laut Webseite soll der Stack die „nationale souveräne Technologie-Plattform für die Digitalvorhaben in Deutschland“ sein. Unter der Struktur listet die Webseite mehrere Ebenen, die von Infrastruktur über DevSecOps bis hin zu Basisdiensten und Governance reichen sollen. In der Außenkommunikation fokussiert sich das BMDS dabei bisher vor allem auf Basisdienste wie das Identifizierungssystem via der EUDI-Wallet oder die Wasserstoff-Planungs- und Genehmigungsplattform. Auf Basis dieser zentralen Basisdienste sollen neue Verwaltungsleistungen aufbauen können. Anfang Oktober erschien dann der „Tech-Stack“ als erstes Produkt: eine Landkarte mit grundlegenden Standards und Komponenten – von WiFi über den Datenstandard RDF bis hin zu KI-Plattformen wie HuggingFace.
Die Vielfalt an Themen und Aspekten hat in den vergangenen Monaten für Verwirrung gesorgt und den Eindruck erweckt, dass die Zielsetzung für den Stack nicht so klar wie vorgegeben ist. Statt ein klares Ziel – und idealerweise bereits einen Weg – vorzugeben, bleibt der Interpretationsspielraum offen. So kursieren seit einigen Monaten eine Vielzahl verschiedener Vorschläge, wie der Stack ausgestaltet werden solle. Natürlich sind Diskussionen wünschenswert. Das Thema Verwaltungsdigitalisierung ist allerdings nicht neu. Das BMDS ist mit dem großen Versprechen angetreten, nun endlich den notwendigen Schub hineinzubringen.
Bei unserer Kommentierung hat diese Unklarheit auch für Schwierigkeiten gesorgt. Schließlich ließen sich die bestehenden Informationen am besten dadurch bewerten, dass man sie auf ein klares Ziel evaluiert. Gerade daher ist es nun besonders wichtig, dass das BMDS zeitnah eine klare Richtung für den Stack vorgibt.
Was kann der D-Stack sein?
Aktuell findet sich auf der Webseite vor allem eine Auflistung an Softwarekomponenten und Standards sowie Kriterien, um diese zu bewerten. Dabei stellt sich die Frage, wie die Komponenten ausgewählt wurden, sowie welche Rolle eine hohe oder negative Bewertung entlang Kriterien wie „digitale Souveränität“, „Zukunftsfähigkeit“ oder „Nachhaltigkeit“ spielt. Weitergehende Punkte zu den Bewertungskriterien finden sich in unserer Stellungnahme. Grundlegend besteht jedoch noch Bedarf zur Nachschärfung. Dabei sollte ein stärkerer Fokus auf Offenheit und Sicherung der Komponenten als Gemeingüter gelegt werden. Dies fordern auch die Bundesländer, die jüngst im Rahmen der Digitalministerkonferenz einen klaren Fokus auf Open Source und offene Standards eingefordert haben.
Grundlegend sollten die Technologie-Landkarte und deren Bewertung genutzt werden, um zentrale IT-Komponenten der öffentlichen Verwaltung zu identifizieren und langfristig nutzbar zu machen. Eine Aufnahme in die Landkarte könnte bei den (zu bevorzugenden) offenen Komponenten dazu führen, Maßnahmen zu ergreifen, um diese langfristig als Gemeingut zu sichern.
Auf Software-Ebene veröffentlicht die französische Regierung eine Liste an offener Software, die bereits in mindestens einer öffentlichen Stelle eingesetzt wird, und baut so langfristig eine Grundlage an vertrauenswürdigen Technologien für die Verwaltung auf. Ähnliches ließe sich mit der Technologie-Landkarte für Standards und Komponenten erzielen.
Um gesteuerte Nachbesserungen zu ermöglichen, sollte die Landkarte zudem in einen IT-Architekturentwurf – also eine Kartierung der Struktur und Abhängigkeiten der öffentlichen IT – weiterentwickelt werden.
In der Folge wollen wir noch drei weitreichendere Anregungen für die Weiterentwicklung des D-Stacks teilen:
Fokus auf die Grundlagen: Datenmanagement im Blick
Mit Blick auf die Strukturen hinter einer effektiven digitalen Verwaltungsarbeit sollte insbesondere das Datenmanagement in den Blick genommen werden. Im Rahmen unserer Arbeit zu offenen Daten ist seit Jahren deutlich, dass viel Potenzial noch ungenutzt bleibt. Oftmals gibt es keine klaren Zuständigkeiten für Datenmanagement in der öffentlichen Hand; am Beispiel von Open Data werden schlechte Datenqualität, divergierende Standards und mangelnde Kooperationen sichtbar. Ein Fokus auf diese grundlegende Ebene des Stacks könnte eine neue Stufe digitaler Verwaltungsarbeit ermöglichen, gerade im Sinne einer Ziel- und Wirkungsorientierung.
Anknüpfungspunkte finden sich bereits einige. Die Datenlabore der Ministerien haben in den vergangenen Jahren gute Vorarbeit geleistet, um aufzuzeigen, was mit einer effektiven Datennutzung in den Ministerien möglich wäre. Die Modernisierungsagenda, das zweite Großprojekt des BMDS neben dem Stack, greift auch das Datenmanagement auf, wenn auch noch ohne Maßnahmen und vor allem mit Blick auf Datenbereitstellung für KI.
Nun sollten diese Aspekte aufgegriffen und mit konkreten Maßnahmen und Zielen hinterlegt werden. Anregungen dazu hatten wir bereits vor einigen Monaten im Rahmen unserer Anregungen für die Staatsmodernisierung dargelegt.
Basisdienste – für die Demokratie und Gesellschaft?
Im Kontext des D-Stacks stehen bis jetzt vor allem zentrale Basisdienste im Vordergrund: die EUDI-Wallet für Identifizierung, Bezahlung mit dem digitalen Euro und Datenmanagement via des NOOTS. Die grundlegende Idee dahinter begrüßen wir, auch mit Blick auf die Nutzer:innenfreundlichkeit einheitlicher Systeme. Einhergehend mit der Zentralisierung müssen jedoch auch Schutzmaßnahmen in Form von effektiver Transparenz, Rechenschaftspflichten und Minimierung von Datenzugriffen erfolgen.
Während wir auch eine klare Fokussierung auf Basisdienste und Arbeiten an den technischen wie organisatorischen Grundlagen begrüßen würden, ließe sich auch eine Erweiterung des Stacks vorstellen.
Der Stack, verstanden als zentraler Technologiestapel der öffentlichen Verwaltung, könnte auch zentrale Dienste umfassen, die die Beziehung zwischen Staat und Bürger:innen verbessern können – quasi Basisdienste für die Demokratie und Gesellschaft. Wie so etwas aussehen kann, zeigt die Open Knowledge Foundation seit Jahren, auch mit vielen Unterprojekten wie offenegesetze.de.
Weitere zentrale Dienste gibt es einige. Für Konsultationsverfahren verwendet das BMDS aktuell die Plattform openCode, einzelne Länder haben hier eigene Tools wie DIPAS in Hamburg oder beteiligung.nrw.de, international gibt es mehrere weit verbreitete Open-Source-Lösungen wie Decidim oder Adhocracy. Über andere digitale Tools werden staatliche Leistungen zugänglicher, wie über die Sozialplattform des BMAS und des Landes NRW oder über die vom Prototype Fund geförderte Seite Förderfunke. Daneben gibt es Kartierungstools für lokale Angebote, Mobilitätsplattformen, Tools für digitales Ehrenamt und mehr. Auch die Mastodon-Instanz des Bundes social.bund.de, die aktuell von der BfDI bereitgestellt wird, ließe sich als solcher Basisdienst verstehen.
Der Bund könnte solche Angebote fördern, wie die Agora Digitale Transformation in einem Rechtsgutachten und einer Studie umfangreich dargelegt hat. Mit einem Blick auf die IT-Landschaft des Bundes ließen sich auch die aktuell verstreuten digitalen Angebote kartieren, evaluieren und gezielt einige zentrale Komponenten in den Stack aufnehmen.
Vorbildlich könnte hierbei die Arbeit von ZenDIS sein, die aktuell einen einheitlichen offenen Arbeitsplatz für die öffentliche Verwaltung bereitstellt. Analog ließen sich über ZenDiS oder eine vergleichbare Plattform auch weitere Basisdienste bereitstellen – und der Deutschland-Stack zu einem Demokratie- und Gesellschafts-Stack erweitern.
openCode für dauerhaften Austausch?
Eine willkommene Neuerung, zumindest in der Theorie: Das Konsultationsverfahren läuft über die Open Source-Plattform des Bundes, openCode. Die Webseite soll laufend aktualisiert werden, über die Issue-Funktion lassen sich niedrigschwellig Kommentare hinterlassen. Die Richtung hier ist sehr positiv: hin zu einer Verwaltung, die offen für externe Expertise ist und diese in die Verwaltungsarbeit einfließen lässt.
Wie sich diese Theorie jedoch in die Praxis umsetzen lässt, bleibt fraglich. Die Zivilgesellschaft wurde zunächst nicht in die begleitenden Workshops eingebunden und erst nach Druck von außen nachträglich hinzugefügt. Aktuell werden die Kommentare via openCode nur dankend angenommen, ohne zu einem echten inhaltlichen Austausch zu führen. Dennoch liegt hier ein Potenzial, welches die neue Abteilungsleiterin Christina Decker auch im Sinne der Modernisierungsagenda des BMDS nutzen sollte.
Der Stack sollte auch ein lernendes Dokument sein. Viele Civic-Tech-Projekte – und auch die Ergebnisse von Hackathons – haben viele kritische Leerstellen in der staatlichen IT-Infrastruktur aufgezeigt. Dieses Wissen einzubinden wäre ein gewaltiger Gewinn für die Verwaltungsdigitalisierung.
Wie geht’s weiter?
Jetzt muss das BMDS nachlegen. Ein Workshop mit der Zivilgesellschaft sei geplant. Jetzt sind allerdings schon mehrere Monate vergangen. Wenn der Stack mehr sein will als ein neuer schicker Name für die Verwaltungsdigitalisierung im BMDS, dann muss jetzt zeitnah Klarheit folgen.
Kontakt: Ben Burmeister, ben.burmeister@okfn.de