Machtstrukturen aufdecken - Eine Übung, um über Macht zu sprechen

In diesem Artikel teilen wir die Anleitung zu einer Übung, mit der wir Gespräche über Machtstrukturen in unserer Organisation führen.

Für eine demokratische, nachhaltige und resiliente Zukunft fordern wir von der Politik Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Diese Werte versuchen wir in unserer Organisation nicht nur nach außen zu vertreten, sondern auch nach innen zu leben. 

Über Machtstrukturen offen und entspannt zu sprechen ist wichtig, damit wir unsere Ansprüche an Transparenz und Gerechtigkeit auch intern einlösen. Das ist ein ehrenhafter Ansatz, der in der Praxis oft schwierig umzusetzen ist. Auch wenn wir flache, transparente Hierarchien haben, bilden sich unausgesprochene Machtverhältnisse und Routinen außerhalb der offiziellen Wege. Je weniger sie angesprochen werden, desto stärker verfestigen sie sich. Formelle Strukturen müssen wir darauf überprüfen, ob sie genug Gegengewichte und Kontrollmechanismen haben. Informelle Macht müssen wir erkennen und benennen, damit sie sich nicht ungerecht verteilt.

Wir haben eine kleine Übung entwickelt, mit der sich Machtstrukturen innerhalb eines Teams sichtbar machen lassen. Diese Übung haben wir wiederholt auf unserem jährlichen Team-Retreat durchgeführt. Wir schaffen damit ein gemeinsames Verständnis über aktuelle Strukturen. Mit der Übung lassen sich Machtverhältnisse ansprechen, die sonst oft ein Tabu sind.

Macht ist nicht automatisch schlecht: Macht bedeutet, dass man etwas bewegen kann. Jede Organisation braucht Machtzentren, damit Entscheidungen funktionieren. Diese Zentren der Macht müssen jedoch möglichst transparent und offen sein, damit niemand ausgeschlossen wird.

Anleitung zum Gespräch über Machtstrukturen

Das Ziel der Übung ist, herauszufinden, welche Machtstrukturen, Machtinstrumente und andere Faktoren in Bezug auf Macht in der Organisation vorhanden sind. Es geht darum, ein Gespräch darüber zu führen. Wir müssen keine Lösung finden, und es gibt in dieser Übung keinen Anspruch, dass etwas verändert wird. Der Wert liegt im Sichtbarmachen und im Ansprechen. Die Übung dauert 60 bis 90 Minuten, je nachdem, wie viele Leute ihr seid und wie viel Zeit ihr euch für den Austausch nehmen wollt.

Als Material braucht ihr eine Fläche, die ihr in vier Quadranten teilt (das könnt ihr mit Stiften auf einem Whiteboard machen, mit Kreide auf dem Boden oder mit Klebeband auf einem Tisch, alles ist möglich), Karten oder große Klebezettel, Stifte und optional Klebepunkte sowie Klebeband, Pins oder Magneten, um die Karten zu befestigen. 

Ihr teilt die Fläche in vier Quadranten, indem ihr zwei Achsen aufzeichnet. Eine Achse verläuft von informell (nicht festgeschrieben) bis formell (offiziell vereinbart), die andere Achse verläuft von innen (wie es intern abläuft) bis außen (was man von außen sieht). 

Illustration von vier Achsen: außen-innen, informell-formell
Illustration der Achsen außen-innen, informell-formell für die Übung Machtstrukturen aufdecken

Nach der Einführung teilt ihr euch in Kleingruppen von bis zu vier Personen. Ihr schreibt auf die Karten, welche Strukturen, Instrumente und andere Faktoren uns einfallen, die in eurer Organisation Macht verleihen. Ihr haltet Beobachtungen fest, möglichst wertneutral. 

Nach etwa 30 Minuten kommen alle wieder zusammen und verorten die Karten auf den Quadranten. Es ist nicht immer eindeutig, wo eine Karte hinpasst. Beispielsweise Community-Mitglieder in Machtposition lassen sich entweder innen oder außen verorten, je nachdem, wie nahe die Community in eure Organisation eingebunden ist. Ihr könnt in dem Fall die Karte duplizieren oder euch für ein Feld entscheiden. Es muss nicht perfekt sein, Unschärfe ist okay.

Ein paar Beispiele:

  • Innen, informell
    • Freundschaften/Beziehungen im Team; Projektgründer:innen (wenn damit kein formeller Titel verbunden ist), Sitzplatznähe und damit kurzer Draht zur Chefin;
  • Innen, formell
    • Finanzierungsstruktur; freie Mittel vs. Projektgelder mit Auflagen; interne Gremien, in denen Entscheidungen fallen; 
  • Außen, informell
    • eine starke Community, deren Meinung die Entscheidungsträger:innen im Team beeinflusst; ein:e Kolleg:in, die öffentlich sehr bekannt ist;
  • Außen, formell
    • klassische Rollen und Governance-Organe wie Board, Geschäftsführung, Mitgliederversammlung, Teamleitungen und Projektleitungen;

Macht durch gesellschaftliche Privilegien wie weiß-sein, Herkunft, Gender, etc. haben wir als informelle Macht verortet, an der Grenze zwischen innen und außen. 

Foto von Menschen, die um einen Holztisch sitzen und Karten auflegen
Foto: Team- und Boardmitglieder machen die Übung zu Machtstrukturen auf unserem Retreat.

Wenn alle Karten verortet sind, schaut ihr euch das Gesamtbild an: Gibt es Quadranten, in denen besonders viele Karten sind, während in anderen sehr wenige sind? 

In unserer Erfahrung haben wir stets mehr zu informeller Macht gesammelt als zu formellen Strukturen. Wir haben nach außen sehr flache Hierarchien, sind aber innen recht komplex organisiert, mit vielen Stakeholder:innen in großen Netzwerken.

Informelle Macht ist spannend zu erkunden, weil wir darüber seltener sprechen, weil sie noch nicht explizit ist. So eine Übung ist vielleicht der erste Zeitpunkt, an dem etwas offiziell ausgesprochen wird, das sonst nur in Zweiergesprächen oder im Flurfunk geäußert wird. An dieser Stelle ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten an wertneutrale Äußerungen halten, und die Atmosphäre relativ entspannt sein kann. Die Übung eignet sich also nicht als Maßnahme in einer akuten Konfliktsituation, sondern dient eher der regelmäßigen Vorsorge und Pflege der Zusammenarbeit.

Für eine Reflexion im gesamten Team markieren wir Karten (z. B. mit Klebepunkten), die wir hervorheben wollen. Leitfragen dafür können sein: Hat mich etwas überrascht? Macht mich etwas unruhig? Was sollten wir im Auge behalten? Danach sprechen wir über die Beobachtungen in einer Diskussion, die von einer oder zwei Personen (aus dem Team) moderiert wird. Wir halten die Ergebnisse fest, indem wir die Karten auf den Quadranten fotografieren, und in kurzen Sätzen die Beobachtungen aufschreiben, die in der Diskussion gefallen sind. 

Auch wenn es bei der Übung keinen konkreten Outcome gibt: Der Wert liegt allein schon darin, dass wir über Macht sprechen. Wenn wir offen über Macht sprechen, schaffen wir ein Klima, in dem Kritik besser möglich ist. Es zahlt sich aus, so eine Reflexion regelmäßig zu machen. Machtverhältnisse verändern sich, während sich die Organisation, das Team, die Gesellschaft, unsere Communities, die Förderlandschaft sich verändert. Wir müssen also regelmäßig einchecken und über eigene Strukturen reflektieren, auch wenn gerade kein besonderes Problem ansteht. So schaffen wir eine Gesprächsbasis, die uns hilft, in einer nächsten Konfliktsituation besser zu reagieren. Mit regelmäßigen Reflexionen über Machtverhältnisse lassen sich auch die Ergebnisse über die Zeit vergleichen, und vielleicht auch Erfolge und Verbesserungen erkennen, die es zu feiern lohnt. 

Warum das alles?

Wir decken Machtstrukturen auf…

… damit wir unsere Ansprüche an Transparenz und Gerechtigkeit auch intern einlösen.

… um zu prüfen, ob Macht bei uns tatsächlich so fair verteilt ist, wie wir uns das theoretisch wünschen.

… um ein Klima zu schaffen, in dem Kritik möglich und okay ist.

… weil Macht, wenn sie gut verteilt und richtig eingesetzt ist, viel Gutes bewirken kann.