IGF 2025: Diskussionen um die Zukunft des freien Internets

Ende Juni fand das 20. Internet Governance Forum (IGF) in Lillestrøm, Norwegen statt. Mit fast 5000 registrierten Teilnehmenden aus der ganzen Welt ist das IGF die zentrale Austauschplattform auf UN-Ebene, um über Fragen des Internets und digitaler Technologien zu diskutieren.
Dieses Jahr steht die Zukunft des IGFs auf der Probe – und dabei auch die zukünftige Ausrichtung der internationalen Digitalpolitik. Zwanzig Jahre nach dem World Summit on the Information Society (WSIS) bewertet die UN-Generalversammlung Ende des Jahres die digitale Entwicklung und wie es weitergehen soll. Dabei geht es um weit mehr als Formulierungen in UN-Dokumenten – langfristig steht der freie und offene Charakter des Internets auf dem Spiel.
Die IGF-Community steht hinter dem Modell
Die laufenden UN-Prozesse bildeten dieses Jahr auch den inhaltlichen Fokus des IGFs. Deutlich stellte sich dabei das IGF hinter einen offene und kollaborative Umgang mit digitalen Technologien – den zugrunde liegenden Multi-Stakeholder Ansatz.
Besonderen Diskussionsanlass bot dazu das am 20. Juni erschienene Eckpunktepapier für den WSIS+20 Review Prozess. Das Dokument ist das erste Ergebnis der laufenden Konsultationsverfahren – und zeigt die Notwendigkeit eines aktiven Engagements. Während das Eckpunktepapier in vielen Aspekten auf Konsistenz mit bestehenden Texten aus ist, und die aushandelnden Ko-Fazilitatoren den Wunsch betonen, alte Kontroversen nicht erneut zu öffnen, stechen insbesondere zwei Aspekte hervor.: Im Kapitel zu Internet Governance betont das Papier den multilateralen Charakter der Internet Governance und stellt somit die Staaten in den Vordergrund. Im Kapitel zu Menschenrechten erwähnt es explizit die – wenngleich faktisch vorhandene – Möglichkeit, die Meinungsfreiheit auf Basis nationaler Gesetzgebung einzuschränken. Insgesamt bietet der aktuelle Entwurf somit ein Einfallstor für einen Zuwachs an staatlichem Zugriff.
Dabei schafft es die Multi-Stakeholder Community auf dem IGF, den Mehrwert ihres Forums und Ansatzes für aktuelle digitalpolitische Debatten zu zeigen. Ob in Fragen der digitalen Teilhabe, der Abhängigkeit von Big Tech, dem Ausbau öffentlicher digitaler Infrastrukturen und digitaler öffentlicher Güter, oder dem Schutz der digitalen Rechte – der globale Austausch illustriert die vielseitigen Facetten der digitalen Probleme und lädt zum gemeinsamen Lernen und Handeln ein.
Längst ist der kollaborative Ansatz nicht mehr unumstritten. Das Ergebnis des World Summit on the Information Society vor 20 Jahren war der gemeinsame Wunsch, eine inklusive, menschenzentrierte und entwicklungsorientierte Informationsgesellschaft zu schaffen – auf Basis des Internets als globalen Commons. Der damalige Konsens mag auch an der Neuheit des Internets gelegen haben. Inzwischen ist der digitale Raum geopolitisch geprägt.
Das zeigt sich an besorgniserregenden globalen Entwicklungen.: Die USA ziehen sich unter Trump aus internationalen Organisationen zurück und hinterlassen ein Vakuum. Der Entzug der USAID-Mittel zeigt sich deutlich in der internationalen Digitalpolitik und bei der digitalen Zivilgesellschaft. Russland hat seit Beginn seines Angriffskriegs in der Ukraine gezeigt, dass die Abschottung des Internets sehr effektiv durchgesetzt werden kann. Mit der UN Cybercrime Convention konnten Russland und China zudem bereits einen großen internationalen Erfolg feiern – der bindende Vertrag verpflichtet Staaten zur Übermittlung persönlicher Daten von Verdächtigten, ohne dabei ausreichende Menschenrechtsstandards zu sichern.
Warum der Multi-Stakeholder-Ansatz unverzichtbar ist
Ein häufiger Kritikpunkt am IGF ist der Mangel an klaren Ergebnissen. Zugleich liegt darin ein Wert: So können verschiedenste Positionen unter einem Dach zusammenkommen. Konferenzen in Deutschland und der EU bleiben schnell innerhalb der lokalen Community gefangen, mit mangelnder Inklusion von Stimmen aus anderen Staaten. Dabei besteht hier nicht nur großes Lernpotenzial – etwa beim Aufbau digitaler Infrastruktur oder der Integration von Open Source-Software. Zugleich haben europäische Regulierungen auch extraterritoriale Auswirkungen, die bedacht werden müssen.
Der Multi-Stakeholder-Ansatz musste vor 20 Jahren noch hart erkämpft werden. Langzeit-Internet-Governance-Expert:innen berichten davon, dass die Zivilgesellschaft damals noch aus den Diskussionen ausgeschlossen wurde. Heute ist der offene Austausch weit verbreitet und zum Teil fortgeschrittener als auf nationaler Ebene: langfristig angekündigte Konsultationsverfahren, offener Zugang zu Regierungsverhandelnden, mehrstufige Erarbeitungsprozesse. Während bei weitem nicht alles perfekt ist, bietet das IGF Regierungen die Möglichkeit, den Mehrwert von Multi-Stakeholder-Prozessen zu erfahren.
Der Weg nach vorn
Die Gefahr eines fragmentierenden Internets mag manchen wie eine ferne Warnung vorkommen. Dabei ist der langfristige Fortbestand eines freien und offenen Internets abhängig von kontinuierlicher Einbringung. Als globales Commons bedarf es einer kollektiven Verwaltung. Dabei geht es nicht nur darum, sich für die richtige Wortwahl in UN-Dokumenten einzusetzen (die Kommentierung des Eckpunktepapiers ist noch bis zum 15. Juli geöffnet), sondern die darin enthaltenen Prinzipien auch mit Taten zu untermauern.
Damit auch deutsche Akteur:innen sich einbringen können, braucht es zunächst eine größere Beteiligung und Aufmerksamkeit – auch von der Politik. Probleme der Machtkonzentrationen rund um Big Tech bestehen nicht allein in Deutschland und der EU. Anstelle europäischer Souveränität braucht es Unterstützung für ganzheitliche Alternativen: eine resiliente technische Infrastruktur, breite Verfügbarkeit nachnutzbarer und datensparsamer Alternativen zu proprietären Softwarelösungen, Unterstützung für globale Meinungsfreiheit und unabhängige Mediensysteme.
Im Rückzug der USA bietet sich auch die Chance, extraktiven digitalen Praktiken etwas entgegenzusetzen und gemeinsam für eine andere digitale Zukunft einzustehen. Anstelle allein an diesen Zielen zu arbeiten, bedarf es eines offenen und kontinuierlichen Austausches. Und dafür braucht es den Fortbestand und die Stärkung des IGFs.
Wer sich bereits auf nationaler Ebene einbringen will, kann beim diesjährigen IGF-D am 10. September vorbeischauen.