Halbzeit für die Ampel: Danke für die schönen Worte, lasst endlich Taten sprechen!

    Halb abgelaufene Sanduhr

    Pressemitteilung

    Zivilgesellschaftliche Organisationen und Freie-Software-Wirtschaft fordern die Bundesregierung auf, eine nachhaltige und soziale Digitalpolitik umzusetzen und im Bundeshaushalt jetzt die nötigen Mittel bereitzustellen.

    Die Open Knowledge Foundation Deutschland zieht eine negative Halbzeitbilanz für die Digitalpolitik der Bundesregierung und fordert gemeinsam mit 20 Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Bundestag müssen jetzt dringend ihre digitalpolitischen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Dafür müssen sie im Haushalt 2024 ausreichend Mittel bereitstellen. Zudem muss die Zivilgesellschaft stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Es gibt in dieser Legislatur noch ein kurzes Zeitfenster dafür, Deutschland auf einen nachhaltigen, inklusiven und sozialen digitalpolitischen Kurs zu lenken. Diese Chance darf die Regierung nicht vertun.

    Die Bundesregierung ist vor zwei Jahren mit einem ambitionierten und vielfach gelobten digitalpolitischen Programm angetreten, das einen Kurswechsel und eine erfolgreichere, nachhaltige, inklusive Digitalisierung versprach. Zur Hälfte der Wahlperiode lässt dieser Kurswechsel leider weiter auf sich warten. Die Ampel hat bisher nur wenige Projekte vorangebracht und plant im Haushalt für das kommende Jahr sogar schmerzliche Einsparungen bei den Digitalprojekten. Damit droht am Ende der Legislatur ein digitalpolitisches Scheitern und ein langfristiger Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft.

    Unser Koalitionstracker zeigt es deutlich auf: Von den 18 Vorhaben aus dem Bereich „Digitales“, welche die Regierungskoalition im Koalitionsvertrag festgelegt hat, ist bisher noch kein einziges umgesetzt. Ein Drittel dieser Vorhaben sind noch nicht einmal begonnen worden, und auch die wichtigen digitalbezogenen Vorhaben zur Modernisierung des Staatswesens (zentrale Vergabeplattform, digitales Gesetzgebungsportal, Registermodernisierung) warten weiter auf den Startschuss. Die Open Knowledge Foundation erinnert die Regierungskoalition nun an ihre Versprechen und richtet den Fokus insbesondere auf folgende digitalpolitische Vorhaben:

    Transparenzgesetz des Bundes als Treiber für die Verwaltungsmodernisierung verstehen

    Die Bundesregierung hat zwar ein Transparenzgesetz versprochen, aber bisher liegen noch nicht einmal die Eckpunkte dafür vor, die bereits für 2022 angekündigt waren. Auch die Kommunikation zu dem Vorhaben verläuft äußerst schleppend. So wurde erst durch einen Entwurf im Rahmen der Open Government Partnership bekannt, dass das Gesetz bis zum 30. April 2025 inkrafttreten soll — also dem letztmöglichen Termin der Legislatur, mitten im Wahlkampf. Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen hatte im vergangenen Jahr einen eigenen Entwurf für ein progressives Transparenzgesetz vorgelegt. Ein Transparenzgesetz nach diesem Vorbild würde nicht nur die demokratischen Rechte der Bürger:innen und somit die Demokratie als Ganzes stärken, sondern auch die dringend notwendige Verwaltungsmodernisierung voranbringen.

    Daten, Daten, Daten: Strategie, Rechtsanspruch und Institut

    Auch nach zwei Jahren Regierungszeit liegt noch keine Datenstrategie der Bundesregierung vor. Sie wäre wichtig für einen Gesamtrahmen mit einer klaren Zielrichtung der Datenpolitik. Anstatt immer neuer, wirtschaftszentrierter Datenräume braucht es einen offenen, diskriminierungsfreien Datenzugang. Datenpolitik muss endlich als Gesellschaftspolitik verstanden werden und nicht nur als Instrument zur Wirtschaftsförderung. Das sich in der Konzeption befindende Dateninstitut könnte dabei helfen. Doch es ist weiterhin unklar, welche Rolle es innerhalb des Datenökosystems einnehmen soll und wie zivilgesellschaftliche Expertise eingebunden wird. Auch das im Koalitionsvertrag genannte Vorhaben, einen Rechtsanspruch auf Open Data einzuführen, wurde bisher nicht realisiert. Dieser ist zentral, um die Transparenzbestrebungen der Koalition mit Inhalt zu füllen und um das Potenzial offener Daten für die demokratische Gesellschaft zu nutzen. Der Rechtsanspruch auf Open Data muss jetzt ausgearbeitet werden und umfassend formuliert sein.

    Open Source weiter stärken: Potenziale offener technischer Systeme für mehr Nachhaltigkeit nutzen

    Mit der Umsetzung des Sovereign Tech Fund ist der Bundesregierung ein großer Erfolg gelungen. Das Förderprogramm leistet schon jetzt einen wichtigen Beitrag für resilientere IT-Infrastruktur. Jetzt gilt es daran anzuknüpfen und Open Source Software weiter zu stärken. Das im Koalitionsvertrag genannte Versprechen, öffentliche IT-Projekte als Open Source zu beauftragen, muss sich auch im Vergaberecht niederschlagen. Hier sollte die Maxime „Public Money, Public Code“ gelten. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung stärker für offene Standards auch in den internationalen Standardisierungsgremien einsetzen, um die vielfältigen Potenziale, die durch offene technische Systeme entstehen können, besser zu nutzen.

    Förderung von Open Source Hardware ist der konsequente nächste Schritt

    Im Gegensatz zu Software, findet das Thema Open Source Hardware bisher weiterhin kaum Betrachtung, dabei gelten viele der Vorteile von Open Source Software auch bei Hardware: Entwicklung nach individuellen Bedürfnissen, Vermeidung von Lock-In-Effekten, Modularisierung, höhere Lebensdauer durch Reparaturen, starke Entwickler:innen-Communities, die Innovationen vorantreiben. Open Hardware bringt die gesellschaftlichen Zielstellungen von Teilhabemöglichkeiten, Selbstwirksamkeitserfahrungen, die Entwicklung nachhaltiger Lösungsansätze, Verteilungsgerechtigkeit, Gemeinwohlorientierung und Innovation durch offenen Wissenstransfer auf einzigartige Weise zusammen. Es braucht geeignete Förderinstrumente, z.B. einen Open Hardware Fund nach Vorbild des Prototype Fund.

    Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements: Digitales Ehrenamt und Civic Tech fördern

    Das digitale Ehrenamt ist stark gewachsen. Und doch erhalten digitale Ehrenamtsformen im Vergleich zum traditionellen Ehrenamt zu wenig Aufmerksamkeit, Anerkennung und politische Unterstützung. Im Rahmen der neuen Engangementstrategie des Bundes müssen Strukturförderungen verstärkt und Angebote und Fördermöglichkeiten für Ausrüstung (Hardware, Software, Serverkapazitäten) sowie für Schulungen und Weiterbildungen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem müssen Civic-Tech-Anwendungen als Demokratie-Infrastruktur anerkannt werden. Es bedarf wirksamer Wege, wie diese Werkzeuge und Tools vom Staat selbst übernommen und betrieben werden können und somit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge werden. Für junge Menschen mit digitaler Expertise sollte es bundesweit das Angebot eines Freiwilligen Digitalen Jahres (analog zum FSJ) geben.

    Wo bleibt der Perspektivwechsel bei digitalen Bürger:innenrechten?

    Fast nirgendwo versprach der Koalitionsvertrag einen deutlicheren Perspektivwechsel in der Digitalpolitik als im Bereich der Bürger:innenrechte. Davon ist bislang allerdings so gut wie nichts zu sehen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Recht auf Verschlüsselung droht mit der „Chatkontrolle“ ausgehebelt zu werden. Die EU-Pläne zur Chatkontrolle würden massiv in die Grundrechte der gesamten europäischen Bevölkerung eingreifen. Die Bundesregierung muss sich zu der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bekennen und sich klar gegen die Chatkontrolle positionieren. Beim kürzlich veröffentlichten Referentenentwurf zur Änderung des BND-Gesetzes blieben wesentliche Kritikpunkte aus der digitalen Zivilgesellschaft unbeachtet. Die Frist von lediglich 24 Stunden zur Abgabe einer Stellungnahme im Rahmen der Verbändebeteiligung kritisieren wir scharf. Zumindest wurde ein Eckpunktepapier für ein Digitales Gewaltschutzgesetz veröffentlicht, das erste Bausteine für einen längst überfälligen besseren Schutz vor digitaler Gewalt vorlegt. Mit der dringend gebotenen Gesamtanalyse aller Überwachungsgesetze („Überwachungsgesamtrechnung“) wurde immerhin begonnen.

    Strukturelle Einbindung der Zivilgesellschaft in digitalpolitische Entscheidungsprozesse

    Eine „Kultur der Zusammenarbeit etablieren“, welche die Zivilgesellschaft besser in digitalpolitische Vorhaben einbezieht — so sieht es der Koalitionsvertrag vor. Auch wenn einzelne Schritte zu erkennen sind, von einem echten Neustart in der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft kann nicht die Rede sein. Dazu braucht es mehr Repräsentanz der Zivilgesellschaft in Gremien, Runden und Entscheidungsfindungsprozessen. Ein Weg dahin könnten beispielsweise die Quotierung in Ausschuss-Anhörungen und das Aufsetzen von neuen ko-kreativen Projekten zwischen den Sektoren sein.

    Die selbst ernannte Fortschrittskoalition hat es bislang versäumt, diesen Titel mit Leben zu füllen. Der Fortschritt nach rund der Hälfte der Legislatur lässt am Umsetzungswillen und der Priorität für die vielen wichtigen digitalpolitischen Vorhaben zweifeln. Den schönen Worten müssen nun endlich Taten folgen!

    Eine Übersicht aller beteiligten Organisationen findet sich auf der Webseite der Free Software Foundation Europe unter diesem Link.

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    Pressekontakt: presse@okfn.de