Bits & Bäume 2022: Nachhaltigkeit braucht digitales Gemeingut!
Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten für eine offene und gerechtere Gesellschaft. Dafür muss sie allerdings auch mit den Herausforderungen des Klimawandels vereinbar sein. Im Rahmen der Bits & Bäume 2022 fordern wir eine digitale Transformation, die aktiv zu einer gerechten, nachhaltigen und demokratischen Zukunft beiträgt. Um diese Zukunft zu ermöglichen, muss der Fokus auf das Gemeingut rücken – das Natürliche wie das Digitale!
Die natürliche Umwelt ist unsere Lebensgrundlage. Ob und in welcher Form diese weiter existiert, stellt sich inzwischen durch vom Klimawandel beförderte Extremwetterereignisse wie Flutkatastrophen, Waldbrände und Hitzewellen immer häufiger. Es braucht dringend ein radikales Umdenken, bei dem auch bisher Selbstverständliches in Frage gestellt wird.
Im Mainstream-Digitalisierungs-Diskurs ist diese Erkenntnis noch nicht ganz angekommen. Denn das Digitale suggeriert Immaterialität. Die Umweltauswirkungen riesiger Rechenzentren, auf welche die meisten unserer täglichen Anwendungen angewiesen sind, sind für die Nutzer:innen schwer sichtbar und werden durch luftige Begriffe wie Cloud oder der unscheinbaren Größe unserer Smartphones verhüllt. Während die negativen Auswirkungen der CO2-Emissionen von Flugreisen weit bekannt sind, denken wir bei der Digitalisierung nur selten ans Klima. Dabei sind beide Sektoren ähnlich klimaschädlich: Global machen digitale Angebote 1,8 bis 3,2% der THG-Emissionen aus.
Digitale Anwendungen ermöglichen sicherlich auch CO2-Einsparungen, zum Beispiel durch intelligente Heizsteuerungen oder effizientere Produktionsprozesse. Dennoch sollte gerade im Angesicht der Klimakrise die Frage gestellt werden, welcher Mehrwert Digitales in Relation zu seinen Emissionen bietet. Und bei dieser Frage lassen sich im digitalen Raum gerade problematische Tendenzen beobachten. Denn die Emissionen aus digitalen Technologien lassen sich auf immer weniger Anbieter zurückverfolgen. Es fließen immer mehr Daten durch immer weniger Hände; Macht wird zentralisiert. Konzerninteressen stehen vor dem Wohl der Nutzer:innen und undurchsichtige Algorithmen werden eingesetzt, um immer mehr automatisierte Entscheidungen ohne menschliche Kontrolle zu treffen.
Es entstehen digitale Monopole, die uns in der Frage entmündigen, welche Ziele digitale Dienste verfolgen, die auf Basis unserer Daten entwickelt werden. So werden nicht bloß Anwendungen entwickelt, die eine gerechtere und nachhaltige Zukunft ermöglichen sollen, unsere Datenschätze helfen zum Beispiel auch bei der Entwicklung autonomer Waffen oder Abschiebesysteme.
Die Monopolbildung bewirkt zudem ineffiziente und klimaschädliche Technologieentwicklung. Im Profitinteresse wird unter anderem die Lebensdauer von Endgeräten künstlich verknappt. Wenn eine Software alternativlos erscheint, können Konzerne diese ohne jeglichen Bedacht auf Ressourcenverbrauch entwickeln. Sollten diese Dienste jemals abgeschaltet werden oder zusammen mit ihren Anbietern verschwinden, so verpufft bei proprietären Angeboten auch der gesamte Energieverbrauch zur Entwicklung im Nichts. Wenn Systeme nicht offen sind, muss alles neu entwickelt werden.
Natur und Digitales: Wir müssen das Gemeingut stärken!
Um die schädlichen Entwicklungen in der Technologiebranche anzugehen, müssen wir von der Klimabewegung lernen. Eine ihrer (traurigen) Erkenntnisse ist, dass das Gemeingut nicht passiv den Händen der Mächtigen überlassen werden kann. Um unsere gemeinsame Lebensgrundlage zu schützen, müssen wir aktiv eingreifen und einen Weg in eine klimagerechte und gemeinwohlorientierte Zukunft einfordern.
Sowohl die Gesundheit des Planeten als auch die Grundlagen unseres digitalen Lebens müssen Gemeingüter sein. Gemeingüter gehören niemanden, niemand kann von ihnen ausgeschlossen werden. Digitales als Gemeingut zu denken beginnt mit der Möglichkeit der theoretisch endlosen Vervielfältigung. Einmal geschaffene immaterielle Güter, ob Informationen oder Software, könnten allen zugutekommen und somit eine Grundlage für selbstbestimmtes Handeln bilden. Der Ressourcenverbrauch zur Bereitstellung und Entwicklung offener Daten und Software dient so möglichst vielen Menschen. Open Source Software kann zudem durch Weiterentwicklungen ressourcenschonender gemacht werden. Die Ressourcen, die zur Entwicklung gebraucht werden, beispielsweise durch Anfahrtswege ins Büro oder den Stromverbrauch von Rechnern, sind nicht verschwendet, wenn Firmen bankrott gehen oder bestehende Dienstleistungen abschalten. Allerdings braucht es dennoch eine gemeinsame Verantwortung, um das Gemeingut zu schützen und zu stärken. Digitales Gemeingut existiert in einem Ökosystem, in dem Entwickler:innen und Nutzer:innen sich gegenseitig inspirieren, Anwendungen gemeinsam weiterentwickeln und in anderen Kontexten weiterverwenden. Der Fortbestand dieses Ökosystems ist kein automatischer Prozess, sondern muss durch adäquate Strukturen wie Fördersysteme gestützt werden.
Digitales Gemeingut ermöglicht eine (klima)gerechtere Zukunft
Das digitale Gemeingut bildet eine Grundlage für ein offenes digitales Zusammenleben. Anhand offenen Wissens, ermöglicht durch offene Daten und deren Aufbereitungen in Grafiken und Anwendungen, oder offenen Informationsquellen wie Wikipedia, entsteht eine gemeinsame Basis an verlässlichen Informationen. Dies ermöglicht selbstbestimmtes Handeln, auch in der Klimakrise, wo offenes Wissen aus Zivilgesellschaft und Forschung Bürger:innen hilft, Regierungen und Konzerne zum Handeln zu drängen. Mit offener Software befreien wir uns aus dem Griff großer Technologiekonzerne und können nicht bloß überprüfen, wie digitale Dienste wirken, sondern diese auch für weitere Zwecke anpassen und weiterverwenden. Offene Technologie als Gemeingut bildet somit einen wichtigen Gegenpol zu den digitalen Monopolbildungen und ihren schädlichen Auswirkungen auf unser Zusammenleben und Klima.
Die OKF und das digitale Gemeingut Als OKF unterstützen wir Projekte, die den Zugang zu Technologie und ihren Vorteilen für mehr Menschen ermöglichen. Aus unserer Community entspringen so immer wieder spannende Projekte, die darstellen, welchen Beitrag mit offener Technologie zum Gemeinwohl geleistet werden kann. In der Code for Germany-Community schaffen Ehrenamtliche wirksame Civic-Tech-Projekte, die den Bürger:innen ihrer Kommune dienen. Sie helfen so, lokal den Klimawandel anzugehen:
- Auf Klimawatch bereitet Code for Münster kommunale Daten auf, um überprüfbar zu machen, ob Kommunen ihre Klimaziele einhalten.
- Gieß den Kiez ist eine Plattform, mit der Menschen kollektives Gießen zum Erhalt der Stadtbäume organisieren können. Das in Berlin entwickelte Projekt gibt es inzwischen auch in anderen deutschen Städten wie Leipzig und Köln.
- Die europaweite in Stuttgart gestartete sensor.community trackt mit selbstgebauten Umweltsensoren die Luftqualität in verschieden Städten und stellt die Daten interessierten Bürger:innen zur Verfügung.
Der Prototype Fund fördert eine gemeinwohlorientierte Softwareentwicklung. Um gefördert zu werden, müssen die Entwickler:innen darauf achten, ihre Anwendungen ressourcenschonend zu entwickeln, verantwortungsvoll mit den Daten ihrer Nutzer*innen umgehen und ihr Projekt als Open Source Software als Gemeingut zur Verfügung zu stellen. Die Projekte zeigen, wie offene Technologie eingesetzt werden kann, um wichtige und aktuelle gesellschaftliche Problematiken anzugehen. So wurden zum Beispiel gefördert:
- Ernte teilen, eine Webseite, auf der sich lokale Betriebe und interessierte Nutzer*innen zu solidarischen Landwirtschaftskonzepten den sogenannten SoLaWis zusammenfinden.
- GreenerWP, mit der ermöglicht wird Wordpress-Seiten, von denen es über 400 Millionen gibt, klimaschonender zu gestalten.
- Ein offener und auf Privatsphäre bedachter Menstruationstracker, der gerade im Kontext der Abtreibungsdebatten zeigt, warum persönliche Datenhoheit unverzichtbar ist - Drip.
Wir brauchen eine nachhaltige Digitalisierung!
Um gemeinsame Ziele zu erreichen, braucht es gemeinsames Handeln. Digitale Technologien bilden ein wichtiges Werkzeug, um eine Vielfalt an Problematiken anzugehen. Wenn die Kontrolle dieses Werkzeugs allerdings in der Hand einer kleinen Gruppe bleibt, so schwindet die Chance, dass diese auch im Interesse der Allgemeinheit eingesetzt werden. Es braucht mehr Förderung des digitalen Gemeinguts, sowie mehr Transparenz, Mitbestimmung und Regulierung bestehender digitaler Dienste. Denn mit einem stärkeren digitalen Gemeingut stehen uns als Gesellschaft mehr Werkzeuge zur Verfügung, um kollektive Ziele zu erreichen. Und wenn es darum geht, die Klimakrise einzudämmen, müssen wir alles Verfügbare mobilisieren. Hier überschneiden sich die Klima- und Tech-Bewegungen.
Als Teil der Bits & Bäume fordern wir die Politik auf, eine zukunftsfähige und nachhaltige Digitalisierung zu gestalten. Hierzu haben wir letzte Woche einen Forderungskatalogs veröffentlich, aus dem insbesondere folgendes für uns wichtig ist:
- Öffentliche Daten und offene Software müssen als Gemeingüter verstanden werden. Hierzu muss das Prinzip „öffentliches Geld, öffentliches Gut“ umgesetzt werden.
- Software und Algorithmen müssen transparent und nachvollziehbar sein.
- Hardware muss langlebig, reparierbar und offen gestaltet werden.
- Möglichkeiten für eine demokratische Steuerung digitaler Dienste und gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle müssen gefördert werden.
- Dem Gemeinwohl schadende Praktiken, wie automatisiertes Tracking oder digitale Waffen, müssen verboten werden.
Falls ihr euch für die Überschneidung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit interessiert, solltet ihr definitiv einen Blick auf das Programm der Bits & Bäume Konferenz werfen, die vom 30. September bis 2. Oktober stattfindet. Tickets gibt es gratis bei der Übernahme einer Schicht als Engel, andernfalls können sie hier erworben werden. Wir würden uns freuen, euch vor Ort zu sehen!