Die OKF wird 10 Jahre alt
Am 19. Februar 2011 wurde die “Open Knowledge Foundation Deutschland” in das Berliner Vereinsregister eingetragen. 10 Jahre ist das her. Unseren ersten runden Geburtstag wollen wir nutzen, um in diesem Jahr auf unsere Arbeit zurückzublicken, mit früheren und aktuellen Wegbegleiter:innen zu sprechen und auch nach vorne zu schauen, was zukünftig wichtig sein wird. Und feiern wollen wir auch. Ein bißchen. Im Sommer.
Daniel Dietrich ist Mit-Gründer der OKF Deutschland und seit Tag 1 im Vorstand der Organisation aktiv. Daniel, wie war das mit der Gründung vor 10 Jahren? Erzähl doch mal.
Die Gründungserzählung der OKF beginnt eigentlich schon viel früher. Wir schreiben das Jahr 2008. Obama wird amerikanischer Präsident, die Sunlight Foundation und andere zivilgesellschaftliche Akteur:innen in den USA setzten Themen wie Open Government, und Open Data auf die politische Agenda (siehe Sebastopol Principles). In Großbritannien wuchs die Open Knowledge Foundation heran und spannte mit spannenden Aktivitäten im Bereich Open Data ein großes Netzwerk in ganz Europa und darüber hinaus. Das war so eine Zeit damals, in der wir dachten, jetzt passiert ganz viel, jetzt geht es los mit Veränderungen. In dem Jahr 2011 riefen Obama und andere Reformer:innen die Open Government Partnership als globale Initiative ins Leben, um transparente, bürgernahe und Offene Regierungsführung als messbaren Standard für moderne Staaten zu etablieren. Kurz: Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Begeisterung über neue Möglichkeiten und Ansätze, eine Offene Wissensgesellschaft zu gestalten und das Verhältnis zwischen Bürger:innen und Regierung neu zu denken und Daten und Technologie zu nutzen, um unsere Gemeinwesen offener, transparenter und partizipativer zu gestalten.
In Deutschland wurden 2009 zunächst das Gov2.0 Netzwerk und das Open Data Network von ein paar Aktivist:innen gegründet, um diese wichtigen Zukunftsthemen auch hierzulande voranzubringen. Ich war auch dabei. Wir fingen an, alle Themen rund um Transparenz und Offene Daten zu bespielen und staunten selbst über die hohe Aufmerksamkeit, die wir bekamen. Da merkten wir, dass es einen Riesenbedarf an Debatten, an Aufklärung und Übersetzungsleistung aus den Bereichen des Digitalen/Tech/Daten in die Gesellschaft und Politik gab. Vorbehalte gegen Internetaktivist:innen waren in Verwaltungen groß und die Berührungspunkte nur zaghaft.
Nachdem wir also unsere Themen durch einige Pilotprojekte und viel Lobby und Advocacy auf die politische Agenda gebracht hatten, suchten einige von uns dann 2010 nach einer besseren Struktur, um die Wirkung unserer Arbeit zu verstetigen. Die Open Knowledge Foundation in Großbritannien diente uns als Inspiration für eine gesamtgesellschaftliche Vision: Offenes Wissen für die Offene Gesellschaft - mit einer bürgerzentrierten und nutzungsorientierten Perspektive.
Gruppenbild: Daniel Dietrich (2. von links), die langjährigen Vorstandsmitglieder Lucy Chambers (4. von links) und Friedrich Lindenberg (ganz rechts), OK International Gründer Rufus Pollock (weißes Hemd) und weitere Aktivist:innen der ersten Stunde bei der Open Knowledge Konferenz 2011 in Berlin.
Wie lief das erste Jahr in der OKF?
Wir bestanden zunächst einmal nur aus dem ehrenamtlichen Vorstand. In den ersten Jahren haben wir eine Vielzahl aktivistischer Projekte auf den Weg gebracht. Wir wollten schnell und vielfältig aufzeigen, wie man Offene Daten gut nutzen kann und wie man zu mehr Offener Regierungsführung kommt, im Prinzip oftmals Websites, auf denen Offene Daten visualisiert wurden sowie Portale mit Partizipationsmöglichkeiten. Wir wollten nicht einfach abstrakt für unsere Themen werben, sondern mit konkreten Praxisbeispielen den gesellschaftlichen und sozialen Mehrwert einer Offenen Wissensgesellschaft aufzeigen. Herausgekommen sind Plattformen wie Frankfurt gestalten, Offenes Parlament und FragDenStaat. Nach einem Jahr rein ehrenamtlicher Arbeit haben wir dann über einige Aufträge genug Mittel zur Verfügung gehabt, um eine erste Mitarbeiterin mit einer Viertelstelle einzustellen - Schwerpunkt Fundraising. Das war dann sozusagen der erste Schritt in Richtung Professionalisierung.
Hast du einen Lieblingsmoment der OKF History seit 2011?
Hmm. Das ist schwer. Es gab viele Momente, die mich zutiefst bewegt haben. Ein ganz großer Sprung war für uns zum Beispiel die Gründung von Code for Germany und der darauffolgende Boom von lokalen Initiativen, die Ideen von OpenGov und Open Data vor Ort umsetzen. 2012 haben wir mit Leuten von Code for America und anderen Civic Tech Initiativen aus aller Welt das Code for All Netzwerk gegründet. In Deutschland folgte dann 2013 Code for Germany. Dass daraus eine weltweite Civic Tech Community und in Deutschland ein Netzwerk aus 26 City Labs geworden ist, finde ich echt stark! Denn eins ist klar: Die Ziele unserer Bewegung kann keine Organisation wie die OKF alleine erreichen, vielmehr brauchen wir eine Verstetigung und Vernetzung vieler lokaler Initiativen, um den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten.
Erkennst du die OKF 2011 noch in der OKF 2021?
Der Zauber des Anfangs ist zweifelsohne ganz besonders. Natürlich denke ich gern und nostalgisch an die alten Zeiten zurück, wie wir Dinge einfach anpackten und Ideen und Daten in Projekte verwandelten. In den Anfangsjahren haben wir vieles als Pionier:innen angestoßen und Steine ins Rollen gebracht mit viel Herzblut, ehrenamtlichem Engagement und einer gewissen Naivität. Die OKF ist jetzt aber keine andere Organisation. Sie ist gewachsen und hat sich - in harter Arbeit - die Organisationsstrukturen und Prozesse gegeben, die sie braucht, um stabil, nachhaltig und wirkungsvoll arbeiten zu können. Dies ist sehr erfreulich und trägt zu ihrem Erfolg bei und auch ein Grund, warum ich nach wie vor gern dabei bin. Das Ziel, eine Offene Gesellschaft mit Beteiligung und der Nutzung von Technologie und Daten zu stärken, ist nach wie vor fest verankert und wird von den aktuellen Akteur:innen mit Leidenschaft vertreten. Ich würde mich aber nicht ärgern, wenn es ein paar mehr Entwickler:innen geben würde die ab und zu mal einen krassen Hack raushauen ;)
Haben wir denn Fortschritte bei Open Data / Open Government in Deutschland gemacht?
Ja und nein. Auf der einen Seite haben wir viele unserer Ziele formal erreicht: Offene Daten und Offenes Regierungshandeln sind keine exotischen Internetthemen mehr sondern offizielle Regierungspolitik. Es gibt Portale für Offene Daten in Bund und Ländern. Der Bundes-CIO möchte Open-Source-Software in der Verwaltung durchsetzen. Einige Bundesländer haben mittlerweile Transparenzgesetze. In einigen Städten gibt es gute Ansätze für Transparenz und Beteiligung. Deutschland ist der Open Government Partnership beigetreten und Bundeskanzlerin Merkel erklärt eigens in einem Video wieso offenes Regierungshandeln wichtig ist. Wer hätte das 2011 gedacht? Formal haben wir also sehr viel erreicht. Fragt man allerdings nach den Inhalten und der Qualität dieser Initiativen, fällt die Bilanz bescheiden bis beschämend aus: In der Praxis ist es nach wie vor schwierig, Zugang zu Behördlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu bekommen. Es gibt kein Transparenzgesetz des Bundes, keinen Rechtsanspruch auf die Bereitstellung Offener Verwaltungsdaten, keinen spürbaren Kulturwandel in Behörden, keine Nachhaltigkeit in Infrastrukturförderung. Die jüngst beschlossene Datenstrategie bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. In Sachen Finanztransparenz und bei der öffentlichen Vergabe gibt es nach wie vor erheblichen Nachholbedarf.
Laut Transparency International macht Deutschland schon seit Jahren keine Fortschritte in Sachen Transparenz. Wir brauchen dringend bessere Regeln für die Parteienfinanzierung und für den Lobbyismus. Immer wieder werden Fälle illegaler Parteispenden, intransparentes Sponsoring, zweckentfremdete Steuermittel oder gestückelte Wahlkampfspenden bekannt. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl sollten die Parteien hier schnell die Initiative ergreifen!
Im Superwahljahr 2021 stehen viele digitalpolitische Themen auf der Agenda von verschiedenen Parteien, von Open Source, digitaler Bildung, Offene Verwaltungsdaten, digitale Souveränität ist alles dabei. Was sind aus deiner Sicht die wichtigen Themen und Forderungen in diesem Jahr?
Alle diese Themen sind wichtig! Digitalpolitische Themen werden bei dieser Wahl und den anschließenden Koalitionsverhandlung eine so wichtige Rolle spielen wie nie zuvor. Gleichzeitig gibt es eine riesige historische Chance, wichtige Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Klima nicht isoliert, sondern zusammen mit wichtigen Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichberechtigung und der Nachhaltigkeit zu adressieren. Hierzulande gibt es verschieden Initiativen, die versuchen über den Tellerrand zu denken und sich zu vernetzen, zum Beispiel Bits und Bäume. Davon brauchen wir mehr! Ich würde mir von politischen Akteur:innen wünschen, dass sie Stimmen und Erfahrungen aus der Zivilgesellschaft hören und in ihren Maßnahmen berücksichtigen. Die OKF hat gerade in den Bereichen Civic Tech, Open Government und Open Education viel zu sagen und wird sich in diesem Jahr auch zu Wort melden.
Was wünschst du der OKF für die nächsten 10 Jahre?
Um gesellschaftlich relevant zu bleiben, muss sich die OKF immer wieder kritisch reflektieren und anpassen. In gewisser Weise war unsere Arbeit in den frühen Jahren “einfacher” als es darum ging neue Themen zu setzen. Heute sind diese Themen gesetzt und es geht um deren Umsetzung in der Praxis. Das erfordert viel Ausdauer und auch Geschick und Klugheit um sich öffnende Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Wir haben im letzten Jahr viel in die Anpassung und Neugestaltung unserer Arbeitsweise und internen Governance Prozesse gesteckt. Damit sind wir sehr gut für kommende Herausforderungen aufgestellt. Das letzte Jahr hat aber auch gezeigt, dass es Handlungsbedarf gibt unser Verhältnis und unsere Zusammenarbeit mit uns wichtigen Akteur:innen neu zu justieren und zu gestalten. Die Konflikte im Code for Germany Netzwerk haben gezeigt, dass wir das Binnenverhältnis und die Governance innerhalb der Community klarer und partizipativer gestalten müssen um unserem Anspruch gerecht zu werden, ein Netzwerk von Ehrenamtlichen bestmöglich zu unterstützen. Hier wollen wir 2021 gemeinsam weiter kommen. Ich betrachte dies als wichtige Voraussetzung um auch zukünftig relevant zu bleiben und unsere Wirkung zu erhöhen. In diesem Sinne: The best is yet to come.