Datenstrategie der Bundesregierung: Gute Ansätze, aber zu sehr auf die Wirtschaft verengt
Die Bundesregierung hat am 27.01.2021 ihre erste Datenstrategie im Kabinett verabschiedet. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung und folgt aus unserer Sicht einer richtigen gesellschaftlichen Zielsetzung: Rahmenbedingungen zu schaffen für eine verantwortungsvolle und innovative Datennutzung, die sich an den Werten der informationellen Selbstbestimmung und des Schutzes persönlicher Daten orientiert und dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Leider versäumt es die Bundesregierung, diesen Werten das nötige Gewicht zu verleihen. Die Datenstrategie verengt sich zu stark auf wirtschaftliche Aspekte und lässt dabei weitere, gemeinwohlorientierte Aspekte der Datennutzung unter den Tisch fallen. Die Zivilgesellschaft bleibt weiterhin Zaungast in der Diskussion: In der Datenstrategie finden sich die Vorschläge, die aus der Zivilgesellschaft kamen, nur teilweise berücksichtigt. Ungehört bleibt auch der Wunsch nach einem Regulativ: Die Gefahr des Datenmissbrauchs durch staatliche Behörden lässt die Datenstrategie gänzlich unbehandelt.
Ein Dokument für die Wirtschaft, das die Gesellschaft lediglich „mitdenkt“
In der Datenstrategie werden wirtschaftliche Aspekte von Daten überbetont; die Bundesregierung betrachtet Daten als Wachstumsmotor und Innovationskraft. Wertschöpfung mit Daten und neue Geschäftsmodelle werden sehr deutlich herausgestellt, wohingegen der Umgang mit Daten aus nicht-wirtschaftlicher Sicht wenig beleuchtet wird. Beispielsweise fokussiert das Modell der Datentreuhänder auf der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, nicht aber darauf, den Nutzenden mehr Kontrolle über ihre Daten zu geben.
Um die digitale Souveränität zu stärken, braucht es eine nachhaltige Förderung von Open-Source-Infrastruktur
Das Thema digitale Souveränität hat seit 2020 einen hohen Stellenwert auf der politischen Agenda eingenommen, auch aufgrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte. Leuchtturmprojekte wie GAIA-X, aber auch die zunehmende Diskussion über Open Source Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung, begrüßen wir. Unklar bleibt jedoch beispielsweise, was die Ziele und Aufgaben des in der Datenstrategie erwähnten neuen Zentrums für digitale Souveränität im BMI sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Bereitstellung von freier Software für die Bundesverwaltung ein geplanter nächster Schritt der neuen Organisationseinheit sein wird. Die Selbstverpflichtung, bei öffentlichen Softwareprojekten grundsätzlich Open Source Umsetzungen festzuschreiben („public money, public code“), ist bedauerlicherweise keine Maßnahme geworden. Um eine nachhaltige Souveränität zu stärken, fehlen auch Ausschreibungen von umfangreichen Förderprogrammen für digitale Open-Source-Infrastrukturen in Deutschland und Europa, nach dem Vorbild des US-amerikanischen Open Technology Funds.
Die Zivilgesellschaft bleibt Zaungast
In der Datenstrategie wird der Zivilgesellschaft nur eine randständige Rolle zugebilligt. Dies ist aus unserer Sicht eine eklatante Fehleinschätzung des Potenzials einer wirklichen Zusammenarbeit zwischen den Sektoren. Einerseits ist es richtig, zivilgesellschaftliche Akteur:innen und Organisationen zu kompetenten Datennutzenden zu machen und diesen Kompetenzaufbau nachhaltig zu unterstützen. Andererseits existieren vielfältige zivilgesellschaftliche Organisationen, die bereits langjährige Expertise im Themenfeld Daten & Gesellschaft haben. In der Anerkennung dieser Expertise läge eine wichtige Möglichkeit zur intersektoralen Zusammenarbeit, zum Lernen voneinander sowie zur Co-Creation von Lösungsansätzen wie es beispielsweise im Prozess der Open Government Partnership zwischen Staat und Zivilgesellschaft verpflichtend vorgeschrieben ist. Darüber hinaus kommt der Zivilgesellschaft eine weitere wichtige Rolle zu, die in der Datenstrategie keine Erwähnung findet. Gerade im Bereich der Daten, über deren gesellschaftlichen Stellenwert nur in Superlativen gesprochen wird, ist die Funktion des zivilgesellschaftlichen Watchdogs sehr relevant. Sie ist kritische Beobachterin staatlicher Aktivitäten, mahnt Transparenz an, deckt Missstände auf, warnt vor negativen Konsequenzen staatlicher Entscheidungen und treibt staatliche Akteur:innen mit Forderungen und Empfehlungen zu ambitionierteren Vorhaben.
Datenkompetenz darf nicht nur an technische Skills geknüpft werden
Wenn wir über Datenkompetenz sprechen, dann darf sich das Gespräch nicht nur um technische Fähigkeiten drehen. Die Technikfolgenabschätzung sollte Bestandteil von Lösungsansätzen sein. Der Mensch und die Gesellschaft müssen stets im Mittelpunkt stehen. Es sollte mehr über digitale Mündigkeit gesprochen werden, als über technische Skills für den Arbeitsmarkt. Dies muss auch in Konzepten zur Erhöhung der Datenkompetenz in schulischen und außerschulischen Kontexten Berücksichtigung finden. Es existieren viele gute und in der Praxis bewährte Formate, oft werden sie von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben. Es gilt nun, an die guten Praxiserfahrungen anzuknüpfen und diese zu stärken, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden.
Es braucht ein Transparenzgesetz, um den Staat zum Vorreiter zu machen
Die Bundesregierung verpasst die Chance, mit dem Bekenntnis zu einem Transparenzgesetz ein großes Ausrufezeichen an die eigene Überschrift zu setzen: Den Staat zum Vorreiter zu machen; das funktioniert nur, wenn die Bundesregierung sich zu einem Transparenzgesetz bekennt. Wer es mit der erhofften und angekündigten Vorbildfunktion wirklich ernst meint, muss auch die eigene Datenpraxis auf rechtlich feste Füße stellen - mit den Bürger:innen im Mittelpunkt.