Von Nutzer*innen für Nutzer*innen: Communitytechnologien als Alltagshelfer – nicht nur in der Krise
Wenn wir morgens aufwachen, dauert es meist nicht lang bis zum ersten Griff zum Smartphone oder Tablet: Wir checken E-Mails, verschicken Nachrichten oder scrollen durch Social-Media- und Newsfeeds. Im Job geht es für viele damit weiter: Sei es das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten, Chats oder Videokonferenzen – zahlreiche Anwendungen gehören, nicht erst seit viele von uns im Home Office arbeiten, fest zu unserem Alltag. Dabei wird oft vergessen, dass die Anwendungen, die wir nutzen, nur die halbe Miete sind: Sie alle benötigen einen soliden Unterbau, also zum Beispiel Programmiersprachen, in denen ihre Basisfunktionen festgelegt sind, Datenbanken, Hosting oder Clouds. Wir benutzen unsere digitalen Tools vollkommen selbstverständlich und verlassen uns dabei blind auf die zugrundeliegende Infrastruktur.
Technische Infrastrukturen versetzen uns als Privatpersonen, aber auch Unternehmen, Regierungen oder NGOs in die Lage, zu kommunizieren, (zusammen) zu arbeiten, uns zu organisieren, zu informieren und an Abläufen teilzuhaben. Nicht zu unterschätzen ist dabei ihr gesellschaftlicher Mehrwert: Menschen können mittels digitaler Technologien an politischen und gesellschaftliche Prozessen teilhaben und Einfluss auf sie nehmen, können sich in Interessengruppen organisieren, sich Meinungen bilden und diese öffentlich machen.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Einbahnstraße, denn: Genauso wie Menschen digitale Infrastruktur und Anwendungen zu ihrem Vorteil nutzen, sind sie selbstverständlich und mit zunehmender technischer Kompetenz immer öfter auch diejenigen, die diese Werkzeuge konzipieren, entwickeln und instandhalten. Und an dieser Stelle wird es – zumindest in Bezug auf Open-Source-Software – kompliziert: Während proprietäre, also nicht offene, Software in der Regel von bezahlten Entwickler*innen gewartet und weiterentwickelt wird, ist das bei offener Software oft nicht möglich, da hinter dem Code nicht unbedingt ein Unternehmen, sondern eine digitale Community an Ehrenamtlichen oder einzelne Entwickler*innen stehen – die digitale Zivilgesellschaft.
Fehlende Ressourcen für Open Source
Wenn wir uns auch sonst wenig Gedanken um digitale Infrastruktur machen, ändert sich das schlagartig, wenn sie nicht einwandfrei funktioniert. Im doppelten Wortsinn analog dazu denken wir selten über Straßen nach, haben aber starke Gefühle (und zwar keine positiven) zu Schlaglöchern und Dauerbaustellen. Ein großes Problem für Open-Source-Software ist daher, dass nicht ausreichend Ressourcen für ihre Instandhaltung und Optimierung zu Verfügung stehen. Die Menschen, die unser digitales Straßennetz warten, werden nicht dafür bezahlt oder anderweitig entlohnt, sondern wenden ihre Freizeit dafür auf, Fehlfunktionen zu reparieren und Nutzer*innenwünsche zu integrieren – und bleiben dabei unsichtbar.
Bugs in Open-Source-Software werden in mühsamer Nachtarbeit meist langsamer behoben als bei proprietärer Software und Benutzeroberflächen sind teils weniger intuitiv gestaltet als bei Produkten, in deren UX-Design hohe Summen geflossen sind. Das macht offene Software für die Nutzenden weniger attraktiv, weswegen diese in der Regel auf bekannte Namen vertrauen, bei denen man sich auf schnelle Problemlösungen verlassen kann.
Die Mangeldiagnose bezieht sich auf Anwendungen und Tools genau so wie auf die Infrastruktur: Deren Instandhaltung ist dabei sogar noch kritischer. Obwohl sie die Grundlage für Messenger, E-Mail-Cients oder Zahlungsanwendungen bildet, ist ihre Unterversorgung dramatisch. Wie absurd das ist, zeigt wiederum der Vergleich mit Verkehrsinfrastruktur: Niemand würde erwarten, dass Straßen oder Brücken von Ehrenamtlichen gebaut und ausgebessert werden. In Bezug auf Open Source ist das jedoch der Standard.
Dabei ist die Förderung von Open-Source-Technologien und ihrer Entwickler*innen im Sinne aller Nutzer*innen: Die Dezentralität in der (Weiter-)Entwicklung digitaler Infrastrukturen und Anwendungen führt dazu, dass sie sich an den Interessen und Bedürfnissen der Nutzer*innen orientieren und hohen Wert auf die Einhaltung von Privatsphäre und Datensicherheit legen. Außerdem verhindert die dezentrale Struktur eine Abhängigkeit von einzelnen großen Playern – und fördert somit die Souveränität der Nutzer*innen im digitalen Raum.
Für die digitale Zivilgesellschaft
Damit die digitale Zivilgesellschaft mehr Anerkennung erfährt und ihre Arbeit endlich auch finanziell stärker unterstützt wird, haben die Open Knowledge Foundation und der Prototype Fund den Aufruf des Superrr Lab mit dem Ziel, die digitale Zivilgesellschaft zu stärken, mitgezeichnet. In einer Blogreihe will der Prototype Fund nun aufzeigen, wie die wertvolle Arbeit der digitalen Zivilgesellschaft im Konkreten aussieht. Wir wollen damit dazu beitragen, dass noch mehr Menschen offene Lösungen kennenlernen und sich trauen, diese in ihren Alltag einzubauen.
Aktuell sind wir noch mehr als sonst auf digitale Lösungen angewiesen. Deswegen ist es besonders wichtig, nicht nur auf Bequemlichkeit bei der Nutzung zu achten sondern die Themen, für die auch die “analoge Zivilgesellschaft” eintritt – seien es Freiheitsrechte, Datenschutz oder Souveränität – im digitalen Raum zu stärken.
Indem wir uns für Open-Source-Lösungen entscheiden, unterstützen wir die digitale Zivilgesellschaft, die den Alltag für so vielen Menschen gerade (aber keineswegs nur) derzeit mit ihrem Können und Engagement so erleichtert.
In einer Blogreihe stellt der Prototype Fund in den kommenden Wochen Software-Projekte und die Menschen vor, die hinter ihnen stehen, zum Beispiel in den Bereichen Ressourcenplanung, Solidarität oder Aufklärung. Denn wir können noch so viel beschreiben, worum es bei der digitalen Zivilgesellschaft geht, was sie leistet und was sie ausmacht – am besten macht ihr euch mit konkreten Beispielen selbst ein Bild.